Staatsfinanzierung

Brauchen wir das Geld der Reichen?

| 06. Dezember 2023
IMAGO / ZUMA Wire

Vor dem G-20-Gipfel in Neu-Delhi sorgte ein offener Brief für Aufsehen: Namhafte Persönlichkeiten aus Wirtschaft, Politik und Wissenschaft fordern eine stärkere Besteuerung von Reichtum. Das soll mehr Geld für wichtige Zukunftsprojekte verfügbar machen. Doch die Argumentation geht in die falsche Richtung.

Fast 300 Millionäre, Ökonomen und Politiker haben im September vor dem G-20-Gipfel in der indischen Hauptstadt Neu-Delhi in einem offenen Brief die G-20 aufgefordert, die Steuern für Reiche zu erhöhen. Der Brief wurde gemeinsam von den Organisationen Patriotic Millionaires, Millionaires for Humanity, Oxfam, Earth 4 All und dem Institute for Policy Studies publiziert. Zu den Unterzeichnern gehören zudem bekannte Ökonom(inn)en wie Jayati Ghosh, Kate Raworth, Joseph Stiglitz oder Thomas Piketty.

In dem Brief heißt es zu Beginn (alle folgenden Übersetzungen von mir, G. G.):

„Die Anhäufung von extremem Reichtum durch die reichsten Menschen der Welt hat sich zu einer ökonomischen, ökologischen und menschenrechtlichen Katastrophe entwickelt, die die politische Stabilität in Ländern in der ganzen Welt bedroht. Ein solch hohes Maß an Ungleichheit untergräbt die Stärke praktisch aller unserer globalen Systeme und muss daher direkt angegangen werden.“

Diese Einschätzung ist ohne Zweifel korrekt. Richtig ist ebenso die dann folgende Feststellung, dass die jahrzehntelangen Steuersenkungen für die Reichsten der Gesellschaft, die damit gerechtfertigt wurden, dass der Reichtum an der Spitze letztendlich uns allen auf wundersame Weise zugute kommen werde, zum Anstieg der extremen Ungleichheit beigetragen hätten. Auch die anschließende Klage, dass es unsere politischen Entscheidungen seien, die es den Superreichen ermöglichten, weiterhin Steuervergünstigungen zu nutzen und in den meisten Ländern der Welt niedrigere Steuersätze zu zahlen als die „normalen“ Bürger, ist kaum zu bestreiten.

Doch im nächsten Abschnitt wird es dann problematisch:

„Gleichzeitig war es selten so notwendig, dass die Reichsten der Welt zahlen. Zum ersten Mal seit Jahrzehnten nimmt die extreme Armut zu und fast zwei Milliarden Menschen leben in Ländern, in denen die Inflation das Lohnwachstum übersteigt. Außerdem läuft den Ländern schnell die Zeit davon, die notwendigen ‚grünen‘ Investitionen zu tätigen, um die im Pariser Klimaabkommen geforderte Obergrenze von 1,5 Grad Erwärmung einzuhalten.“

Dies suggeriert, dass die Unfähigkeit der Regierungen, die Reichsten „stärker zur Kasse zu bitten“ (das heißt, sie höher zu besteuern) und die unzureichenden Maßnahmen zur Bekämpfung der Armut oder zur „grünen Transformation“ zusammenhängen. Anders ausgedrückt: Hätten die Regierungen mehr Steuereinnahmen, könnten sie mehr Geld für die Armutsreduktion und den Klimaschutz ausgeben.

Im vorletzten Abschnitt des offenen Briefes heißt es entsprechend:

„Ein internationales Abkommen über Vermögensteuern würde das gefährliche Ausmaß an Ungleichheit schrumpfen lassen und gleichzeitig den Staats- und Regierungschefs die Möglichkeit geben, unbedingt notwendige Geldmittel zur Bewältigung der vielfachen Herausforderungen unserer Welt zu beschaffen.“

Dies ist eine weitverbreitete Argumentation, die auch hierzulande – beispielsweise vom DGB – vertreten wird: So wandte sich erst kürzlich DGB-Vorstandsmitglied Anja Piel gegen von der Bundesregierung geplante Kürzungen der Mittel für die Jobcenter und forderte in diesem Zusammenhang Steuererhöhungen für Reiche:

„Es ist allerhöchste Zeit, dass große Vermögen und Spitzeneinkommen endlich stärker besteuert werden. Ansonsten lassen sich die gute Unterstützung für Arbeitslose und andere wichtige Zukunftsaufgaben nicht finanzieren.“[1]

Ganz ähnlich heißt es in einem Aufruf der Partei DIE LINKE unter der Überschrift „Geld ist genug da, es ist nur ungerecht verteilt“:

„Holen wir uns das Geld zurück! Mit einer Vermögenssteuer, die pro Jahr 100 Milliarden Euro bringt – für Investitionen in Schulen, Schienen und Schwimmbäder. Dazu werden die Vermögen oberhalb von einer Million Euro mit fünf Prozent pro Jahr belastet. So hätten wir mehr Geld für den Ausbau von Bus und Bahn, für Schulen und Kitaplätze, für bessere Pflege und ein gerechtes und modernes Gesundheitssystem, für ein gutes Leben für alle.“

Und die Co-Vorsitzende der SPD, Saskia Esken, teilte jüngst in einem Interview mit dem Deutschlandfunk mit, hohe Einkommen, Erbschaften und Schenkungen stärker besteuern zu wollen (mittlere und niedrigere Einkommen sollen dagegen entlastet werden), um mit den zusätzlichen Einnahmen dem Staat mehr Investitionen in Infrastruktur und Bildung zu erlauben. Ein entsprechender Leitantrag soll auf dem SPD-Parteitag vom 8. bis 10. Dezember eingebracht werden.

Nehmt von den Reichen und gebt den Armen?

Was ist an solchen Äußerungen problematisch? Letztendlich wird hier unterstellt, dass die Steuerzahler die ultimative Quelle für das Geld der Regierung sind. Regierungen seien genau wie private Haushalte finanziell eingeschränkt und müssten ihre Ausgaben durch Steuern oder Schulden "finanzieren". Interessanterweise entspricht diese Auffassung exakt derjenigen der früheren, von neoklassischen Ökonomen gefeierten britischen Premierministerin Margaret Thatcher. Auch diese behauptete, dass der Staat kein eigenes Geld habe, sondern letztendlich all sein Geld vom Steuerzahler stamme:

„Lasst uns nie diese fundamentale Wahrheit vergessen: Der Staat hat keine andere Geldquelle als das Geld, das die Menschen selbst verdienen. Wenn der Staat mehr ausgeben möchte, kann er das nur tun, indem er eure Ersparnisse leiht oder euch stärker besteuert. […] Es gibt nicht so etwas wie öffentliches Geld. Es gibt nur das Geld der Steuerzahler“ (hier, ab Minute 0:18).

Viele progressiv eingestellten Menschen übernehmen leider diese Sichtweise, auch wenn ihre Schlussfolgerungen ganz andere sind: Sie argumentieren, dass wir die Steuern der Reichen benötigen, damit der Staat Ausgaben für die Armen tätigen und damit deren Situation verbessern kann. Dies ist die Robin-Hood-Betrachtungsweise der Steuern: die Reichen besteuern und ihr Einkommen an die Armen weitergeben.

Diese Vorstellung macht die Hilfe für die Armen davon abhängig, ob die Besteuerung der Reichen in hinreichendem Maße gelingt. Dasselbe gilt natürlich für Ausgaben des Bundes für den Klimaschutz, den Wohnungsbau, eine verbesserte soziale Sicherung, die digitale Infrastruktur und Ähnliches: Auch hierzu benötigen wir angeblich das Geld der Reichen – und das mehr denn je. Aus dieser Feststellung folgen dann Forderungen nach einer stärkeren Besteuerung hoher persönlicher Vermögen – etwa über eine Vermögen- oder Reichensteuer –, aber auch nach einer stärkeren Progression in der Einkommensteuer.

Wie ein währungssouveräner Staat seine Ausgaben vornimmt

Den Reichen und den Großverdienern wird damit eine Bedeutung zugeschrieben, die sie gar nicht haben. Denn in Wahrheit bestimmen die von den Reichen gezahlten Steuern keineswegs die Möglichkeiten eines währungssouveränen Staates, eine ausgezeichnete Infrastruktur und erstklassige öffentliche Dienstleistungen bereitzustellen sowie eine effiziente und nachhaltige Klimapolitik zu betreiben. Mit anderen Worten: Die Regierung kann Geld zur Unterstützung der Armen oder für andere Ziele ausgeben, ohne die Reichen oder irgendjemanden anders zu besteuern. Es handelt es sich hierbei um zwei funktionell gänzlich separate Aktivitäten. Ein Staat, der über Währungssouveränität verfügt, unterliegt keinen finanziellen Beschränkungen, da er seine Ausgaben durch die Emission seiner eigenen Währung "finanziert" – in der Form von Zentralbankreserven.

Etwas genauer: Das Finanzministerium tätigt und erhält seine Zahlungen über die zugehörige Zentralbank. Seine Ausgaben erfolgen in Form einer Gutschrift der Zentralbank auf das Zentralbankkonto der Geschäftsbank des Zahlungsempfängers. Die Geschäftsbank schreibt dann einen Betrag gleicher Höhe auf dem Girokonto des Zahlungsempfängers gut. Alle Ausgaben des Bundes werden letztlich so vorgenommen – durch Gutschriften auf Bankkonten. Die monetären Operationen, die damit einhergehen können (wie zum Beispiel die Emission von Anleihen[2]), ändern nichts an der Fähigkeit eines währungssouveränen Staates, auf diese Weise Ausgaben zu tätigen.

Wenn aber alle Ausgaben des Bundes durch Geldschöpfung „finanziert“ werden, bedeutet dies, dass den Steuern eine solche Finanzierungsfunktion nicht zukommen kann.[3] Tatsächlich wird in allen modernen Volkswirtschaften (fast) nur die eigene Währung des Staates bei der Zahlung von Steuern – und ebenso beim Erwerb von Staatsanleihen, die der Staat verkauft – akzeptiert. Und zwar in der Form von Zentralbankgeld[4], das allein von der Zentralbank erzeugt werden kann.

Folglich muss der Staat – hier als Finanzministerium und Zentralbank zusammengefasst gemeint – zuerst einmal mit seinen Ausgaben oder durch Verleihen seine Währung in Umlauf bringen, also in die Volkswirtschaft „einspeisen“, bevor er Steuern erheben oder auch Anleihen verkaufen kann. Erst kommen mithin die Ausgaben des Finanzministeriums, die Ausleihungen oder die Käufe der Zentralbank – und erst danach die Steuern.

Mit anderen Worten: Wenn die Steuerzahler einem währungssouveränen Staat nur das „Geld“ zuführen können, das sie zuvor von ihm erhalten haben (durch dessen Ausgaben oder dessen Verleihen), wenn also erst die Staatsausgaben und dann die Steuern kommen, lässt sich – jedenfalls für die Bundesebene – nicht mehr sagen, dass die Steuern die Ausgaben finanzieren.

Die Lehren aus der Corona-Krise

Es ist verwunderlich, dass vielen hier ein Umdenken so schwer fällt. Nach wie vor basieren die Debatten zur Fiskal- oder Haushaltspolitik auf der Annahme, dass Regierungen ähnlichen finanziellen Beschränkungen unterliegen wie Privathaushalte: Sie müssten – wie die Haushalte – mit ihren Mitteln auskommen. Und diese Mittel seien die finanziellen Ressourcen, die sie durch Besteuerung oder Kreditaufnahme aufbringen könnten.

Dabei hat doch spätestens die Corona-Pandemie eindrucksvoll gezeigt, dass dies so nicht stimmen kann[5]: Denn die Regierungen überboten sich in der Corona-Krise weltweit geradezu mit riesigen Rettungsprogrammen für die Wirtschaft. Es war auf einmal kein Problem mehr, immense Geldsummen in einer atemberaubenden Geschwindigkeit zu mobilisieren: So verabschiedeten Kanada und die USA im Jahr 2020 Konjunkturpakete in Höhe von 20,1 respektive 26,9 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) und Japan gar von 54,8 Prozent des BIP. In Deutschland, Frankeich und Italien lag der fiskalpolitische Stimulus bei 10,7, 10,4 bzw. 10,1 Prozent des BIP.[6]

Weder baten die Regierungen die Steuerzahler zur Kasse noch suchten sie nach Kreditgebern, um sich von diesen Geld zu leihen. Vielmehr legten sie die von ihnen als notwendig erachteten Budgets fest und ihre Zentralbanken leisteten die Zahlungen.

Selbst diejenigen Staaten, die keine Währungssouveränität (mehr) haben, versuchten, sie zumindest für eine befristete Zeit wiederherzustellen: So setzte etwa die Eurozone, deren Regelwerk darauf ausgerichtet ist, die Staatsausgaben zu begrenzen, rasch die Defizit- und Schuldenregeln, Schuldenbremsen etc. für ihre Mitgliedsstaaten außer Kraft. Gleichzeitig beschloss der EZB-Rat im März 2020, in Ergänzung zum Asset Purchase Programme (APP) das Pandemic Emergency Purchase Programme (PEPP) aufzulegen, womit sich die EZB letztlich bereit erklärte, gegebenenfalls unbegrenzt Staatsanleihen zu kaufen, wenn sich ein Insolvenzrisiko ergeben sollte. Die EZB übernahm so die Rolle des „Kreditgebers der letzten Instanz“, Staatsanleihen galten in der Folge als risikofrei und für die Regierungen der Eurozone existierten faktisch keine Ausgabenbeschränkungen mehr.

Somit ist die Frage, die Thomas Fazi hinsichtlich der Konsequenzen aus der Bewältigung der globalen Corona-Krise stellt, durchaus berechtigt:

„Wenn Geld aus dem Nichts geschaffen werden kann, um einen ‚Krieg‘ gegen ein tödliches Virus zu führen, ist es dann nicht folgerichtig, dass dasselbe getan werden kann, um einen ‚Krieg‘ gegen Armut, Arbeitslosigkeit, Ungleichheit und den ökologischen Kollaps zu führen – allesamt Übel, die viel tödlicher sind als Covid-19?“

Führten die Konjunkturpakete zu Inflation?

Aber hat nicht die übermäßige Gesamtnachfrage, die aus den riesigen Konjunkturpaketen zur Bekämpfung der wirtschaftlichen Auswirkungen der Covid-19-Pandemie resultierte, zu den hohen Inflationsraten in der ganzen Welt geführt, mit denen wir nun konfrontiert sind?

Diese Vorstellung ist zwar weit verbreitet, sie ist aber dennoch – wie schon oft auf MAKROSKOP gezeigt – falsch: Tatsächlich ist die gegenwärtige Inflation auf weitreichende globale Störungen auf der Angebotsseite im Zuge der Pandemie zurückzuführen, nämlich die Schließung von Fabriken, Transportwegen und Häfen – dadurch verursachte Engpässe bei der Versorgung mit verschiedenen Gütern und steigende Verschiffungskosten –, eine massive Behinderung des Warentransports durch ungleichzeitige Lockdowns, eine nur langsame Wiederaufnahme der Produktion und Abarbeitung von Rückständen in den Lieferketten sowie eine Verschiebung in der Struktur der privaten Nachfrage von Dienstleistungen hin zu Waren.

Die pandemiebedingte Inflation wurde durch den Ukraine-Krieg, der zu einem Anstieg der Energie- und Nahrungsmittelpreise führte, zusätzlich verschärft. Dabei nutzten offenbar Unternehmen mit Marktmacht die mit der Covid-Pandemie und dem Ukraine-Krieg verbundenen Engpässe in den Lieferketten und steigenden Energiepreise aus, um ihre Gewinnspannen zu erhöhen, indem sie die Preise mehr anhoben, als zum Ausgleich der (zuvor) gestiegenen Kosten notwendig gewesen wäre.[7]

Es handelt sich also bei dem gegenwärtigen Anstieg des Preisniveaus nicht um eine nachfrageinduzierte Inflation, bei der der Impuls von einer überschüssigen Nachfrage ausgeht, welche die Kapazitätsgrenzen (zumindest einiger Sektoren) überschreitet.

Wer das anders sieht und die Inflation doch den umfangreichen Konjunkturpaketen der Regierungen zuschreibt, müsste zuallererst erklären, warum dann ausgerechnet das Land, das von den oben angeführten Ländern (Kanada, USA, Japan, Deutschland, Frankreich, Italien) das bei weitem größte Konjunkturpaket aufgelegt hat – nämlich Japan –, gleichzeitig das Land ist, das seit 2020 die mit Abstand niedrigste Inflationsrate gegenüber dem Vorjahr aufweist: Die durchschnittliche Inflationsrate in Japan beträgt -0,03 Prozent im Jahr 2020, -0,23 Prozent 2021, 2,50 Prozent 2022 und geschätzt 3,21 Prozent 2023. Sie liegt damit übrigens auch deutlich unter derjenigen in der Eurozone insgesamt und in der Europäischen Union (EU-27).

Staatsausgaben und Steuern

Doch zurück zur Forderung nach Steuererhöhungen für Reiche. Wie bereits erwähnt, sollte die zentrale Lehre aus der fiskalischen Reaktion auf die Corona-Pandemie eigentlich darin bestehen, dass Geld nicht knapp ist. Die Modern Monetary Theory (MMT) zeigt, dass Staaten, die ihre eigenen Währungen emittieren und kontrollieren, keinen intrinsischen finanziellen Restriktionen bei ihren Ausgaben unterliegen und auch nicht (unfreiwillig) pleitegehen können.

Dies bedeutet aber nicht, dass eine Regierung ausgeben kann oder sollte, wie viel immer sie will. Denn wenn die Politik die Nachfrage über die Produktionskapazität eines Landes hinaus treibt, droht Inflation. Erhöhte Staatsausgaben wirken so lange nicht inflationär, wie ungenutzte reale Ressourcen – einschließlich verfügbarer Arbeitskräfte – in der Volkswirtschaft vorhanden sind, die einer produktiven Verwendung zugeführt werden können, solange also das Wachstum der nominalen Gesamtnachfrage das Wachstum der realen Produktionskapazität nicht übersteigt. Entscheidend ist immer das Verhältnis zwischen Ausgaben und Produktionspotenzial.

Deshalb sollte jeder Ausgabenvorschlag hinsichtlich seiner Durchführbarkeit (Verfügbarkeit ausreichender realer Ressourcen zu seiner Umsetzung) und seiner Fähigkeit beurteilt werden, den angestrebten gesellschaftlichen Nutzen zu erfüllen.

Wenn die Kapazitäten einer Volkswirtschaft (nahezu) voll ausgelastet sind und die Regierung dennoch ihre Ausgaben ausweiten möchte, muss sie über Besteuerung Ressourcen von der privaten zur öffentlichen Verwendung umlenken. Steuern verringern die Kaufkraft des nichtstaatlichen Sektors und damit seine Fähigkeit, über reale Ressourcen zu verfügen, wodurch solche Ressourcen für die öffentliche Hand freigesetzt werden.

Das bedeutet, dass Steuern mit dem Ziel erhoben werden sollten, einen realen Ressourcenspielraum für den öffentlichen Sektor zu schaffen, den dieser durch seine Ausgaben nutzen kann.[8] Auf diese Weise vermeidet die Regierung eine Inflation, wenn sie ihre Ausgaben erhöht. Höhere Reichensteuern sind übrigens kein besonders wirksames Mittel, um Ressourcen freizusetzen.[9]

Selbst auferlegte Zwänge

Dass ein Staat mit einer souveränen Währung keinen intrinsischen finanziellen Beschränkungen unterliegt, heißt nicht, dass es keine politischen, institutionellen oder ideologischen Restriktionen geben kann, die seinen Spielraum bewusst eingrenzen. Solche selbst auferlegten Regeln existieren selbstverständlich auch in nicht-währungssouveränen Ländern – also etwa den einzelnen Ländern der Eurozone, die mit dem Euro faktisch eine fremde Währung verwenden.

Ein Paradebeispiel ist die ökonomisch widersinnige Schuldenbremse hierzulande, über die nach dem jüngsten Urteil des Bundesverfassungsgerichts eine Grundsatzdiskussion begonnen hat.

Auch in diesem Zusammenhang werden aus Teilen der politischen Linken Forderungen nach einer Reichen- oder Vermögensteuer laut, um so den Haushalt durch höhere Einnahmen statt durch Einsparungen auszugleichen. Dies ist verständlich, aber kein Beleg dafür, dass das Geld der Reichen doch benötigt wird. Denn das Problem ließe sich theoretisch einfach durch eine Abschaffung der Schuldenbremse lösen. Praktisch wäre dazu allerdings eine Grundgesetzänderung erforderlich, also eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag, die gegenwärtig utopisch erscheint. Aber auch die Realisierungschancen für eine Reichen- oder Vermögensteuer stehen im Moment eher schlecht.

Die Ungleichheit muss bekämpft werden

Soll das nun heißen, dass höhere Steuern für Reiche überflüssig sind, wenn wir doch auf deren Geld gar nicht angewiesen sind? Bedeutet dies, dass keine Notwendigkeit besteht, die Verteilung von Einkommen und Vermögen weltweit zu verändern? Mitnichten. Auch nach der MMT gibt es viele gute Gründe, die Vermögens- und Einkommensungleichheit zu reduzieren – und auch in MMT-Sicht stellen hierzu Steuern ein probates Mittel dar.

Zu den Gründen zählt aber nicht, dass wir dafür sorgen müssen, dass die Regierungen "mehr Geld“ zur Verfügung haben, um dringend erforderliche Ausgaben finanzieren zu können. Vielmehr geht es um soziale Gerechtigkeit und die Verhinderung einer Konzentration von Macht und politischem Einfluss in den Händen weniger. Ziel sollte es sein, die finanziellen Mittel, die den Reichen zur Verfügung stehen, zu reduzieren, so dass sie weniger Möglichkeiten haben, politische Kampagnen zu finanzieren, Lobbyarbeit bei Politikern zu betreiben, in ihrem Sinne Einfluss auf politische Entscheidungsprozesse zu nehmen oder gar Medien zu kontrollieren.

Tatsächlich stellt das heutige, rapide gestiegene Niveau an Ungleichheit ein ernsthaftes wirtschaftliches und soziales Problem dar. Selbst der Internationale Währungsfonds erkennt mittlerweile an, dass „übermäßige Ungleichheit den sozialen Zusammenhalt untergraben, zu politischer Polarisierung führen und schließlich das Wirtschaftswachstum verringern kann.“[10]

Hinzuzufügen ist noch, dass Ungleichheit auch die finanzielle Instabilität verschärft und in extremer Ausprägung sogar zu einer Gefahr für die Demokratie wird, wie etwa die Untersuchung von Martin Gilens[11] zeigt. Die empirischen Studien von Bienstman 2023 und Bienstman et al. 2023 kommen zu ähnlichen Ergebnissen: Danach schwächt Einkommensungleichheit das Vertrauen der Menschen in die demokratischen Institutionen.

Auch eine erst jüngst erschienene Studie des WSI für Deutschland deutet in diese Richtung: So trägt Einkommensungleichheit zu einer Entfremdung unterer Einkommensklassen vom demokratischen System bei: Mehr als ein Drittel der dauerhaft Armen hat nur ein geringes Vertrauen in das Rechtssystem, fast die Hälfte dieser Einkommensgruppe bringt dem Bundestag und sogar deutlich mehr als die Hälfte den Parteien und Politikern nur wenig Vertrauen entgegen.

Es gibt also gute Argumente dafür, die Reichen (stärker) zu besteuern. Aber auf die Geschichte von den finanziell eingeschränkten Regierungen, die bei der „Bewältigung der vielfachen Herausforderungen unserer Welt“ abhängig sind vom Geld der Reichen, sollte man verzichten. Sie ist schlichtweg falsch.

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[1] zitiert nach „Neue Osnabrücker Zeitung“, 08.09.2023.
[2] Wenn eine Regierung Anleihen verkauft, bucht die Zentralbank Bankreserven in entsprechender Höhe ab, unabhängig davon, ob die Banken die Käufer der Anleihen sind oder ob es sich bei den Käufern um Bankkunden handelt. Anleihekäufe kehren diese Aktion um, das heißt, die Zentralbank schreibt Bankreserven gut. Statt Anleiheverkäufe als Mittel zur Finanzierung von Staatsausgaben zu betrachten, sollten Anleiheverkäufe und -käufe als Teil der geldpolitischen Operationen angesehen werden.
[3] Dass Steuern die öffentlichen Ausgaben finanzieren, trifft allein für die niedrigeren staatlichen Ebenen zu – also die Länder und Gemeinden (und Gemeindeverbände) –, die nicht die Währung emittieren. Für den Bundessektor (Bund) eines Landes mit einer souveränen Währung gilt dies nicht.
[4] Zentralbankgeld (auch als „Geldbasis“ oder „M0“ bezeichnet) umfasst Bargeld und vor allem Einlagen bei der Zentralbank.
[5] Vgl. auch Tcherneva, P.R.: Three lessons from government spending and the post-pandemic recovery, in: Wray, L.R. et al., Modern Monetary Theory – Key Insights, Leading Thinkers, Cheltenham 2023, S. 253-262.
[6] Dziedzicki et al. 2021.
[7] MMT-Vertreter wie etwa Bill Mitchell haben zudem von Beginn an darauf hingewiesen, dass die gegenwärtige Inflationsphase vorübergehend, also wahrscheinlich recht schnell wieder vorbei sein wird, sobald die genannten treibenden Faktoren abklingen.
[8] Natürlich ist dies nicht der einzige Grund, weshalb Steuern erhoben werden. Sie erfüllen darüber hinaus noch weitere wichtige Funktionen, auf die hier nicht eingegangen werden kann. Vgl. dazu z.B. hier.
[9] Dies liegt daran, dass die Ausgabenneigung der Reichen relativ gering ist. Randall Wray stellt mit Recht fest: „Was ist mit einer Einkommensteuer für Millionäre? Das hängt von der Ausgabenneigung der Millionäre ab – um wie viel Dollar muss ihr Einkommen reduziert werden, um Ressourcen im Wert von einem Dollar freizusetzen? Es bräuchte eine Menge Steuern, um den Wunsch eines Millionärs, eine Yacht zu kaufen, zu verringern. Was ist mit der von vielen Progressiven vorgeschlagenen Vermögensteuer für Milliardäre? Eines der Argumente, die oft angeführt werden, ist, dass die Steuer so niedrig wäre, dass sie nicht wehtun würde – was vermutlich bedeutet, dass sie das Konsumverhalten der betreffenden Personen überhaupt nicht verändern würde. Reiche Menschen gibt es relativ wenige und sie haben eine relativ geringe Ausgabenneigung. Um durch eine Verringerung ihrer Ausgaben genügend Ressourcen freizusetzen, könnten erhebliche Steuererhöhungen erforderlich sein – und außerdem Maßnahmen zur Verringerung der (illegalen) Steuerhinterziehung und Steuervermeidung (legale Möglichkeiten zur Verringerung der Steuerbelastung)“ (L.R. Wray: Making Money Work for Us, Cambridge 2022, S. 146). Auch wenn dies „unerfreulich“ ist: Breit angelegte, aber progressive Steuern auf Einkommen, das wahrscheinlich konsumiert wird, sind wirksamer, um die private Nutzung von Ressourcen zu verringern.
[10] Fiscal Monitor October 2017, S. ix; vgl. auch Dabla-Norris et al. 2015, S. 6f.
[11] Gilens, M.: Affluence and Influence: Economic Inequality and Political Power in America, Princeton 2014.