Genial daneben

Klimapolitik schadet Klima?

| 20. Dezember 2023
IMAGO / Sven Simon

Ist die deutschen Klimapolitik wirklich weitgehend sinnlos, wie Hans-Werner Sinn und Clemens Fuest anscheinend meinen?

Bei „Hart aber fair“ kam´s schon wieder. Clemens Fuest verbreitete in der Sendung vom 4. Dezember die Behauptung, Einsparungen von fossilen Brennstoffen in Deutschland würden nur dazu führen, dass woanders umso mehr Öl und Gas verheizt wird. Noch massiver vertritt Hans- Werner Sinn, Fuests Vorgänger als Ifo-Chef, diese These. Zitat aus dem Spiegel: „Wenn Deutschland kein Öl mehr kauft, fällt der Weltmarktpreis, und andere kaufen es“. 

In anderen Publikationen versucht Sinn dann noch ein wenig zu differenzieren und spekuliert über das Verhalten der Erdölproduzenten als zusätzlichen Faktor. Was wenig hilft, denn Bild greift in gewohnter Manier die Kernthese auf und titelt: „Prof. Sinn rechnet mit Ampel und EU ab: So schlecht ist unsere Klimapolitik fürs Klima“ und: „Habecks Verbote beschleunigen den Klimawandel“.

Lese und höre ich das alles, tauchen in meinem Gedächtnis merkwürdigerweise immer Erinnerungen an ferne VWL-Erstsemestervorlesungen auf. Irgendwas, sagt der Erstsemester in mir, kann da nicht stimmen. Empirisch nicht und in der Theorie auch nicht.

Empirisch

Empirisch hilft sicher der Hinweis weiter, dass der Ölmarkt kein Kartoffelmarkt ist, also kein idealtypisch „freier Markt“ auf dem sich durch Angebot und Nachfrage irgendein Gleichgewichtspreis bildet. Der Ölmarkt ist hochgradig durch Spekulation, politische Entwicklungen und durch ein Kartell geprägt: die Opec und ihre Erweiterung, die Opec+ mit 23 ölexportierenden Ländern. Diese Opec+ verfügt über rund 40 Prozent der derzeitigen Ölproduktion und kann aufgrund dieser Marktmacht, trotz der Konkurrenz amerikanischen Fracking-Öls, die Preise phasenweise stark beeinflussen. 

Kartelle haben in der Regel die Funktion Preise hochzuhalten ‒ und zwar mit Absprachen und durch Mengenanpassung. Man kann in Statistiken gut sehen, dass die Preissprünge der vergangenen Jahrzehnte tatsächlich weniger mit Änderungen der Nachfrage, die sich selten in solchen Sprüngen entwickelt, sondern eben mit politischen Ereignissen, Rohstoffbörsen und mit Preissetzung durch das Kartell zu tun hatten.

Quelle: Statista

So verdreifachten sich beispielsweise die Ölpreise von 2000 bis 2008, was keineswegs mit einem „Marktpreis“ zu erklären ist, sondern ‒ neben dem Wachstum Chinas ‒ unter anderem mit einer entsprechenden Angebotsteuerung der Opec, die 1999 eine signifikante Beschränkung ihrer Fördermengen beschloss. Das reale BIP wuchs in diesem Zeitraum weltweit um mindesten 25 Prozent, während die Förderung von Rohöl nur um etwa 11 Prozent stieg.

Zwar wurden die Regulierungen des Kartells später gelegentlich durch Einbrüche der Weltwirtschaft, wie etwa im Jahr 2020, oder durch US-Konkurrenz (2014 ff) unterlaufen und die Preise stürzten ab – kehrten dann aber schnell wieder auf ein hohes Niveau zurück. Kurzum: Die Annahme von Sinn und Fuest, Einsparungen in Europa würden den Ölpreis dauerhaft reduzieren, ist unwahrscheinlich. Wahrscheinlicher ist, dass stattdessen ‒ um das Preislevel zu halten ‒ die Fördermengen nach unten angepasst würden. Womit ein Klimaziel erreicht wäre! 

Theoretisch

Aber zurück zum Erstsemester: Die Aussagen von Sinn und Fuest sind nebenbei auch deshalb interessant, weil sie wieder einmal ein Schlaglicht darauf werfen, wie willkürlich sogenannte „Top-Ökonomen“ (Bild) mit ihrer eigenen Theorie umgehen. Sinn und Co. argumentieren wie folgt: 

  • Einsparung in Europa führt zu Preissenkung
  • Preissenkung führt zu Mehrverbrauch woanders (gemeint ist vermutlich vor allem der globale Süden).

Und jetzt müssten sie nur noch erklären, wieso der Minderverbrach bei uns zu sinkenden Preisen führt, der daraus angeblich resultierende Mehrverbrauch im Süden aber anscheinend keineswegs zu wieder steigenden Preisen, wie es in der Mengen-Preis-Welt unserer Ökonomen normalerweise eigentlich sein müsste. Würden die Preise (modelllogisch) durch den Mehrverbrauch „der Anderen“ auf das alte Niveau zurückkehren, dann gingen demzufolge anschließend auch die verbrauchten Mengen (im Süden) wieder zurück und der „Mehrverbrauch“ wäre schnell vom Tisch. 

Oder anders: Anscheinend bleibt bei unseren „Top-Wissenschaftlern“ das Angebot (die geförderte und verkaufte Meng fossiler Energieträger) trotz sinkender Preise weitestgehend erhalten. Die Menge reagiert also nicht auf Preissignale (unelastische Angebotsfunktion). Eine Annahme, die gerade wenn Kartelle im Spiel sind, äußerst unrealistisch und inkonsistent ist.

Als Erstsemester lernt man demgegenüber allerdings, dass sich Angebots- und Nachfragekurven jederzeit verlagern können und was dabei passiert: Geht die Nachfrage nach bestimmten Gütern (beispielsweise Öl) grundlegend zurück, verschiebt sich die Nachfragekurve nach links (in der Grafik: N1 -> N2). Nehmen wir die Angebotskurve als gleichbleibend an (zum Beispiel: Förderkapazitäten sind unverändert), ergibt sich daraus bei einem niedrigeren Preis eine geringere verkaufte Menge. 

Selbst im Kartoffelmarktmodell der Standardökonomie führt ein Rückgang der Nachfrage also durchaus zu einer niedrigeren Produktion. Übertragen auf die Umweltdiskussion: Einsparungen von fossilen Brennstoffen bewirken (modellmäßig) unmittelbar einen Rückgang ihrer Förderung. Und keineswegs einen imaginären Mehrverbrauch irgendwo anders auf der Welt, der die ursprüngliche Einsparung wieder weitgehend zunichtemachen würde.

Nun muss man diese Kurvendiskussion nicht so ernst nehmen, weil sie sich in einem Theoriegebäude abspielt, das ohnehin nicht sehr realitätstauglich ist. Ergebnis dieser Betrachtungen ist aber jedenfalls, dass die Fuest/Sinnsche Behauptung empirisch nicht begründet ist ‒ und sich peinlicherweise nicht einmal schlüssig aus der Theorie der Herren Neoklassiker ableiten lässt.