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Energiekrise
Wie knapp ist das Gas in Deutschland?
Von Franz Garnreiter
| 19. Januar 2023istock.com/abadonian
Im Energiekrieg wird die Lage der deutschen Gaswirtschaft in düsteren Farben gemalt. Zu Unrecht, wie die Daten zeigen.
Putin beginnt einen Krieg und der Westen antwortet mit Sanktionen. Baerbock will "Russland ruinieren", von der Leyen will "die industrielle Basis des Landes zerstören", Biden will Russland Schäden zufügen, "die der Anwendung militärischer Macht gleichkommen". Ein stufenweiser Importstopp für russische Energie wird inszeniert. Bei schwindenden Auslandseinnahmen könne Russland seine Militärmaschinerie nicht mehr finanzieren, was Putin zum Rückzug zwinge, so das Kalkül.
Erreicht wurde das Gegenteil: Der russische Leistungsbilanz-Überschuss und die Abgaben an den Staat sind durch hohe Energiepreise höher denn je. Ungeachtet dessen will die deutsche Politik schnellstmöglich russisches Gas boykottieren und endlich davon unabhängig werden.
Von Russland nach Westen gehen (gingen) fünf Gasleitungen: Nordstream 1 und 2 mit einer Kapazität von je 55 Mrd. m³ jährlich. Dann die alte große Leitung durch die Ukraine, Slowakei, Tschechien mit Abzweig nach Österreich mit einer Kapazität von 120 Mrd. m³. Eine kleinere Leitung durch Weißrussland, Polen nach Deutschland (33 Mrd. m³). Und schließlich eine neuere Leitung durch das Schwarze Meer (Turkstream) in die Türkei und in den Balkan (60 Mrd. m³).
Der Durchfluss durch die polnische Leitung wurde schon im Frühjahr von Polen blockiert. Die Ukraine-Leitung liegt im Kriegsgebiet, von daher fließen nur noch geringfügige Mengen (etwa 10 % Pipeline-Auslastung), nach Deutschland fließt nichts mehr. Die Ukraine selbst bezieht schon lange Gas aus dem Westen. Nordstream 2 wurde erst vom Westen gesperrt, bevor beide Leitungen dann Ende September gesprengt wurden. Ein wenig russisches Pipeline-Gas fließt auch durch die Turkstream-Leitungen Richtung Balkan (etwa 20 % Auslastung). Und in den neuen LNG-Häfen in Deutschland soll kein russisches LNG angelandet werden dürfen.
… dann gehen im Winter die Lichter aus?
Russisches Gas war bisher die wesentliche Stütze für den deutschen Gasverbrauch. Haben wir nach dem Gasstopp noch ausreichend Erdgas, um zu heizen und zu produzieren? Müssen wir im Winter frieren und im Dunkeln sitzen? Seit einem halben Jahr rauschen täglich – mit Verweis auf den russischen Gasstopp – Alarmmeldungen durch die Medien. Ganz vorne dabei: Die Bundesnetzagentur BNetzA mit ihrem Chef Klaus Müller. Die BNetzA ist die Regierungsstelle, die die marktwirtschaftlich ordentliche Nutzung der Netze für Kommunikation, Telefon, Strom und Gas gewährleisten soll. Müller spricht von einem Gasmarkt „außer Rand und Band", von deutschlandweiten „Wellenbewegungen“ der Gasmangellagen und davon, dass der durchschnittliche Füllstand von 95 Prozent in den deutschen Gasspeichern zum 1. November „in all unseren Szenarien“ verfehlt wird.
Tatsächlich wurden zum 1. November 99,2 Prozent erreicht, die Gasspeicher waren also voll. Aber Entwarnung will der Bundesnetzagentur-Chef dennoch nicht geben: „Die wirkliche Herausforderung beginnt jetzt". Im Tagesspiegel legt er Anfang November nach: "Für einen dramatischen Anstieg des Gasverbrauchs reichten wenige klirrend kalte Tage. (…) Wenn es richtig frostig wird, werden die Speicher schnell leergesaugt".
Tatsächlich ist das nutzbare Speichervolumen doppelt so groß wie der durchschnittliche Erdgas-Gesamtverbrauch im Monat Januar.
Mittlerweile – siehe die Speichergrafik weiter unten – glaubt sogar Müller, dass wir in diesem Winter nicht mehr erfrieren müssen: "Ich gehe inzwischen davon aus, dass die Speicher am Ende des Winters zu mehr als 50 Prozent gefüllt sein werden. Wir konzentrieren uns jetzt auf den nächsten Winter". Denn, so ließ er auf Twitter verlauten:
Die lakonische Bemerkung eines Netz-Kommentators dazu: "Ich versuche alles mal in einem Satz zusammen zu fassen, 'Wir sind am Arsch!'"
Im Folgenden ein sachlicherer Blick auf die reale Gaslage: Importe, Speicher, Verbrauch. Alle Daten kommen von der Bundesnetzagentur. Sie gibt täglich Lageberichte zur Gasversorgung heraus.
Woher kommt das Erdgas?
In den vergangenen Jahren lag der Verbrauch von Erdgas in Deutschland bei gut 90 Mrd. m³ mit einem Heizwert von annähernd 1000 Mrd. kWh (1 m³ Gas: 10 bis 11 kWh Heizwert). Die inländische Gasförderung (hauptsächlich in Nordwestdeutschland, früher auch etwas in Südbayern) trägt immer weniger zum Verbrauch bei, derzeit um die 4 bis 5 Prozent. Fast alles hier verbrauchte Erdgas kommt also aus dem Ausland.
Die Grafik 1 zeigt zunächst die monatlichen Import- und Exportmengen sowie die inländische Förderung im Jahr 2022. Die Importmengen gingen stark zurück, aber noch stärker die Exportmengen: Ein Teil des importierten Gases wird in die Nachbarländer weitergeleitet ‒ etwa in die Schweiz, nach Österreich, früher auch nach Frankreich (russisches Gas über die Ukraine und Tschechien).
Grafik 1
Woher kommen die Importe? Dazu zeigt Grafik 2 die Anteile am Import, die die wichtigen Lieferanten von Gas inne haben: Russland, Norwegen, Niederlande und Belgien. Die Mengen aus Russland sanken ab Juni; seit Ende August kommt nichts mehr aus Russland. Sehr kontinuierlich liefert Norwegen Gas aus den Fördergebieten in der Nordsee vor Stavanger, dehnte den Lieferumfang sogar noch etwas aus. Hauptsächlich aber sind es Belgien und die Niederlande, die den Ausfall des russischen Gases kompensierten (abgesehen vom sinkenden Export, der Weitergabe von Importgas).
Grafik 2
Die niederländischen Gasfelder sind zwar ziemlich ausgefördert, die Mengen sinken, aber beide Länder haben wichtige LNG-Anlandehäfen[1]). Diese Häfen waren in den letzten Jahren deutlich unterausgelastet, sie können also erhebliche Mehrimporte aufnehmen. Von daher kommt immer mehr regasifiziertes LNG nach Deutschland. Hinzu kommen die im Aufbau befindlichen deutschen LNG-Häfen.
Erdgasspeicher: Erfüllen sie ihre Rolle?
Der Verbrauch von Erdgas ist im Sommer viel geringer als im Winter – ein beträchtlicher Teil ist Heizgas. Die Gasförderung verläuft dagegen gleichmäßig. Also braucht man große Saisonspeicher, in denen im Sommer die nicht sofort verwendete Gasförderung für den Mehrverbrauch im Winter gelagert wird. Die Speicher sind im Wesentlichen frühere Gaslagerstätten, die nach der Ausförderung umgebaut wurden, damit man sowohl einpressen wie auch rasch entnehmen kann. Das Speichervolumen in Deutschland beläuft sich auf knapp 25 Mrd. m³, also mehr als ein Viertel des Jahresverbrauchs. Auf Deutschland fällt knapp ein Viertel des EU-weiten Speichervolumens.
Wenn die Russen nicht liefern und die verfügbaren Mengen ensprechend niedrig sind, dann werde es äußerst kritisch mit einer für den kommenden Winter ausreichenden Speicherbefüllung, so die Alarmappelle. Grafik 3 zeigt nun in Prozent des gesamten nutzbaren Speichervolumens und in tagesgenauer Aufgliederung für das Speicherjahr vom 1. April bis 31. März des Folgejahres
- die Entwicklung des Füllstandes seit dem 1. 4. 2022 bis Januar 2023,
- im Vergleich dazu die Entwicklung des Füllstandes in der letzten Speicherperiode 2021/22,
- sowie auch den höchsten Füllstand, der in den vergangenen Jahren von 2018 bis 2021 erreicht wurde.
Grafik 3
Daran ist zu sehen: Obwohl Deutschland 2022 so wenig Gas von den Russen bekamen, konnten die Speicher – ausgehend von einem sehr tiefen Stand im April – gefüllt werden. Und das noch dazu mit einer sehr hohen Geschwindigkeit, trotz aller pessimistischen Unkenrufe. Anders als BNetzA-Chef Müller meinte, dass schon "wenige klirrend kalte Tage" dazu führen würden, dass "die Speicher schnell leergesaugt" seien, führte die Kältewelle Anfang/Mitte Dezember zwar zu einer in der Grafik deutlich sichtbaren Ausspeicherung. Allerdings gab es in dieser Zeit Extremtemperaturen, die so im gesamten Winter 2021/22 nie auftraten.
Aber genau für solche Kältewellen gibt es die Speicher, und es ist ihre normale Aufgabe, in solchen Tagen genügend Gas bereit zu stellen. Die relative Wärmeperiode im Anschluss führte dazu, dass eingespeichert, der Speicher sogar in der Wintermitte wieder gefüllt wurde. Offensichtlich ist für Deutschland genügend Gas auf dem Weltmarkt zu erhalten.
Grafik 4 zeigt die täglichen Großhandelskurse für Erdgas an der für Westeuropa wichtigsten Börse TTF, zum Vergleich auch die Ölpreise für das in Europa maßgebliche Preissetzer-Öl Brent; zur Vergleichbarkeit jeweils in Euro-Cent pro kWh Energieinhalt. Als im Frühjahr 2022 die Gaspreise massiv stiegen, hätten die Gaskonzerne ihre Gasspeicher mit so extrem teurem Gas niemals voll aufgefüllt, allenfalls bis zum unabdingbaren Minimum. Grund: die Aussicht, im kommenden Winter die Speichermengen womöglich zu dann wieder gesunkenen Preisen abzugeben. Also gab es ein Speichergesetz, das die Gaswirtschaft neuerdings zum Einspeichern zwingt. In der Tat lagen die Preise im Sommer 2022 erheblich höher als die aktuellen, derzeitigen Marktpreise – mit jeder kWh ausgespeichertem Gas macht die Gaswirtschaft derzeit also Verluste im Vergleich zum Direktkauf heute.
Grafik 4
Wirtschaftsminister Robert Habeck traute seinem Speicherzwang dennoch nicht ganz und kam auf den Gedanken, dass die Regierung doch selbst Speichergas einkaufen könnte. Er beauftragte die Trading Hub Europe (THE) – in diesem neu geschaffenen Unternehmen fusionierten die Gaskonzerne ihre für das Management der deutschen Gasnetze (Hochdruckleitungen) zuständigen Töchter –, mit Kreditgeldern der staatlichen Bank KfW massiv die Gasmärkte leerzukaufen und das Gas in die Speicher einzulagern.
Klar, dass die Anbieter jubelten und die Preise noch weiter erhöhten: Anfang Juni kam der Auftrag bei einem Börsen-Gaspreis von etwa 10 Cent pro kWh (ohnehin schon das Fünffache der Preise von Anfang 2021), Ende August erreichte der Gaspreis eine Spitze von fast 35 ct/kWh. Es ist möglich, dass diese Ankaufsaktion der Regierung wesentlich ursächlich dafür war, den Erdgas-Preishype in diesem Sommer noch auf die Spitze zu treiben.
Mit dieser Regierungsinitiative wurden etwa 8,7 Milliarden Euro ausgegeben und Speichergas zu einem Durchschnittspreis von 18 ct/kWh gekauft. Rund 50 Mrd. kWh Gas, etwa ein Fünftel des Inhalts aller deutschen Gasspeicher, gehört also der Regierung bzw. der THE. Angesichts der Tatsache, dass der Preis für Importgas mittlerweile weitaus niedriger liegt (aktuell um die 7 ct/kWh) und dass die Ein- und Ausspeicherung auch noch Kosten verursacht, sind hier beträchtliche Milliardenverluste angefallen. Die Kosten der Panikmache.
Interessant auch: Seit Ende August fließt kein russisches Gas mehr nach Deutschland. Ende August erreichten die internationalen Gaspreise ihre extreme und einsame Spitze. Seither fällt der Gaspreis wie ein Stein. Nicht einmal die Kältewelle im Dezember trieb ihn nennenswert in die Höhe. Das russische Gas ist endgültig weg, der Spekulation fehlt der Phantasieanreiz, die Preise gehen wieder in Richtung Realkosten.
Die Süddeutsche Zeitung schrieb schon Ende Oktober 2022 in ihrem Liveblog zur Energiekrise: "Europa hat derzeit zu viel Gas. Die Speicher sind zu etwa 95 Prozent gefüllt, vor den europäischen Küsten liegen mehr LNG-Schiffe als aufgenommen werden können und das Wetter ist ungewöhnlich mild: Die Gaspreise an den Börsen rutschen ab". Nur BNetzA-Chef Müller hielt eine Gasknappheit für eine unmittelbar drohende Gefahr.
Die Entwicklung des Gasverbrauchs
Wenn mit Russland der zentrale Lieferant von Erdgas ausfällt, dann ist es neben der Suche nach alternativen Lieferanten ebenso wichtig, zu versuchen, den Gasverbrauch möglichst niedrig zu halten. Dafür hat die BNetzA permanent geworben. Sie vergleicht zur Einschätzung den laufenden aktuellen Verbrauch in 2022 (künftig 2023) mit dem durchschnittlichen Verbrauch der vier Jahre 2018 bis 2021.
- Private Haushalte inklusive Kleingewerbe
Grafik 5a zeigt zunächst (blaue Kurve) die tatsächlichen prozentualen Abweichungen des Gasverbrauchs in den Monaten 2022 gegenüber dem jeweiligen monatlichen Durchschnitt für 2018 bis 2021. Es ergibt sich ein wildes Auf und Ab dieser Abweichungen. Dementsprechend kritisierte Müller mal die privaten Haushalte fürs Nicht-sparen (vor allem im September und auch im Dezember) und mal zeigte er sich erfreut über erfolgreiches Sparen (vor allem im Oktober). Da berücksichtigte er nicht oder nicht ausreichend die Temperaturabhängigkeit des Verbrauchs, der in diesen Sektoren ja in erster Linie Heizenergieverbrauch ist. Der letzte Oktober war einer der wärmsten überhaupt, und umgekehrt waren der Dezember (trotz der weihnachtlichen Wärmeperiode) und vor allem der September ziemlich kühl, verglichen mit den Temperaturen in den vier voran gegangenen Jahren.
Natürlich kann man den Einfluss der Temperaturunterschiede herausfiltern. Schon eine einfache Regressionsgleichung, die auf die monatlichen Differenzen zwischen den Temperaturen 2022 und dem jeweiligen Monatsdurchschnitt 2018 bis 2021 Bezug nimmt, führt zu einer sehr viel stetigeren Entwicklung, nämlich die orangene Kurve in Grafik 5a. Sie zeigt die Verminderung des Gasverbrauchs in 2022 gegenüber den vorhergehenden vier Jahren, wenn in 2022 dieselben Monatstemperaturen geherrscht hätten wie in den Vorjahren (keine Temperaturbereinigung für Juni, Juli, August).
Grafik 5a
Deutlich wird ein im ersten Halbjahr sich verstärkender relativer Rückgang des temperaturbereinigten Gasverbrauchs, der sich dann in der zweiten Jahreshälfte 2022 auf etwa 20 Prozent Minus gegenüber 2018 bis 2021 stabilisiert. Es bleibt umfangreicheren Berechnungen mit sehr viel mehr Datenmaterial vorbehalten, herauszufinden, inwieweit dieser Rückgang auf Preise und Preiserwartungen oder auf moralische Appelle zurück geht, inwieweit er kurzfristig ist (den Thermostat zurück drehen) oder längerfristiger Natur (zum Beispiel Wärmedämmung oder Wärmepumpe einbauen).
- Industrieverbraucher inklusive Stromerzeugung
Analog zur vorhergehenden Grafik zeigt Grafik 5b die prozentualen Abweichungen des industriellen Gasverbrauchs in 2022 gegenüber dem durchschnittlichen der vier Vorjahre. Auch hier ist eine Beschleunigung des Verbrauchsrückgangs im ersten Halbjahr festzustellen, der sich dann bei einem Minus von 20 bis 25 Prozent stabilisiert. Großverbraucher nutzen Erdgas zur Produktion, ein Temperatureinfluss auf die Verbrauchsmenge ist daher von sehr untergeordneter Bedeutung. Es fällt allerdings der Dezemberwert auf. Für diesen Monat ist zu vermelden, dass die Stromerzeugung aus Gas um exorbitante 45 Prozent höher lag als im Dezember-Durchschnitt 2018 bis 2021 (Daten des FhG-ISE). Möglicherweise ist das eine Folge des nötigen Stromexports nach Frankreich, wo die Hälfte der AKWs kaputt ist und daher den in Frankreich üblichen Heizstrom in der Dezember-Kältewelle nicht schaffte. Rechnet man den geschätzten Gaseinsatz für diese Strom-Mehrerzeugung heraus, dann ergibt sich die orangene Linie, die die genannte Stabilisierung des Minderverbrauchs bestätigt.
Grafik 5b
Wie können Industriebetriebe so anscheinend problemlos ein Viertel ihres bisherigen Verbrauchs einsparen? Ein Punkt könnte sein, dass der Produktionsindex insbesondere von energieintensiven Industriezweigen, der ihre konjunkturelle Lage anzeigt, im Verlauf des Jahres deutlich zurück ging, ein Zeichen vielleicht auch einer beginnenden Verlagerung in die USA, wo Gas heute deutlich billiger ist.
Mehr noch dürfte sich bemerkbar machen, dass viele Unternehmen bei ihrem Energieverbrauch auf das billigere Öl umschwenken: Eine Umfrage des Verbandes der bayerischen Wirtschaft unter seinen Mitgliedern ergab, dass etwa 18 Prozent von ihnen einfach und schnell zumindest Teile ihrer Einsatzenergie Gas durch andere Energieträger, vor allem Öl, ersetzen können (bivalente Feuerungen). Zudem ging die Stromerzeugung aus Gas in 2022 gegenüber dem Vorjahr um insgesamt knapp 14 Prozent zurück.
- Gesamtsituation
Summiert man die beiden Sektoren, dann erhalten wir Grafik 5c. Die blaue Linie zeigt die Ist-Abweichungen 2022 von den Vorjahren, die orangene Linie die bereinigten Abweichungen wie eben ausgeführt. Ergebnis: Seit einem halben Jahr haben wir einen um systematisch etwa 20 Prozent niedrigeren Gasverbrauch als im Schnitt der Vorjahre.
Grafik 5c
Zusammenschau: Die Speicher werden problemlos reichen
Die Zusammenschau der einzelnen Erkenntnisse liefert Grafik 6. Sie geht von Januar 2022 bis April 2023, umfasst also den Sommer 2022 und den bisherigen Winter sowie einen möglichen Verlauf für den restlichen Winter 2023.
Grafik 6
Zunächst stellt die dunkelgraue Linie den durchschnittlichen monatlichen Gasverbrauch in den vier Jahren 2018 bis 2021 dar. Sie bildet den Vergleichsmaßstab für die Verbrauchsentwicklung. Dann gibt es eine orangene Linie, die den Gasverbrauch im Jahr 2022 darstellt, verlängert (gestrichelt) ab Januar 2023 mit der Maßgabe, dass der künftige Verbrauch um 15 Prozent unter dem Vierjahres-Durchschnitt liegt. Das ist, siehe die Ausführungen im vorigen Abschnitt, ganz sicher keine zu optimistische Annahme. Schließlich gibt es noch die blaue Linie, die den Nettoimport 2022 visualisiert (Import minus Export). Auch dieser ist (gestrichelt) verlängert für den restlichen Winter mit der Annahme eines Importes von monatlich 70 Mrd. kWh. Das entspricht in etwa dem, was seit Juli netto importiert wird, also in der Zeit, in der die Russen nichts oder fast nichts mehr lieferten.
Dann bleibt noch das grüne Feld zwischen der roten und der blauen Linie. Es entspricht dem Gasbedarf, den die Gasspeicher liefern müssen. Bei den geschilderten Annahmen beläuft sich der Gasbedarf aus den Speichern für den gegenwärtigen Winter auf 113 Mrd. kWh. Das sind 46 Prozent des verfügbaren Speichervolumens in Höhe von 245 Mrd. kWh. Es wird also problemlos reichen. Die Speicher haben genug Reserve, niemandem muss das Gas abgeschaltet werden. Die Speicher hätten sogar genug Gas, wenn in zwei Wintermonaten überhaupt kein Importgas käme, dann allerdings wären sie leer. Zudem gibt es noch einen weiteren Puffer, der hier ganz außer Acht gelassen wurde: die inländische Gasförderung. Sie beläuft sich auf monatlich 3 bis 4 Mrd. kWh.
Variantenrechnung: Beträgt die Verbrauchsreduzierung im restlichen Winter ab Januar gegenüber dem vierjährigen Durchschnitt nur 10 Prozent, dann beläuft sich der Speicherbedarf auf 130 Mrd. kWh. Bei einer Reduzierung um nur 5 Prozent beträgt der Speicherbedarf etwa 150 Mrd. kWh. Sogar dann bleiben zum Winterende noch 40 Prozent des eingespeicherten Gases als Reserve weiter im Speicher.
Natürlich soll und muss sparsam mit dem verfügbaren Erdgas umgegangen werden, und zwar aus grundsätzlich rohstoff- und klimaschonenden Erwägungen. Aber Angstmache mit Frieren-müssen aufgrund des Wirtschaftskriegs ist nicht angebracht. Diese Panikmache, die nichts mit der Klimawirksamkeit des Gasverbrauchs zu tun hat, wird verpuffen. Wenn wieder "geordnete Verhältnisse" herrschen, wenn also die vom russischen Gas verursachte Knappheit durch viele deutsche LNG-Häfen überwunden ist, dann werden die Thermostate wieder aufgedreht. Dann gibt es ja auch keinen Grund mehr zum Gassparen.
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