Energie und Wokismus
Der New Green Deal ist eine Illusion. Er führt zu einem massiven Anstieg des Energie- und Ressourcenverbrauchs der westlichen Staaten auf Kosten des weltweiten Ressourcenvorrats. Doch so einfach wie in der Vergangenheit wird das nicht mehr funktionieren.
Die Gültigkeit der Behauptung des französischen Ökonomen Jean Baptiste Say aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts neigt sich ihrem Ende zu: Die natürlichen Ressourcen seien zwar endlich, gleichzeitig aber der schieren Größe nach unerschöpflich und als solche insgesamt nicht Gegenstand der Wirtschaftswissenschaften. Mit ihr stibt das Konzept der Entgrenzung als ambivalentem Heilsversprechen der Moderne.
Tatsächlich erweist sich die Erschöpfbarkeit der Ressourcen nicht zuerst am Woher, sondern am Wohin. Die Kapazität der Erdatmosphäre im Zusammenhang mit der Sonneneinstrahlung reicht nicht mehr aus, um die gasförmigen Abfallprodukte der Ressourcennutzung – Co2 und andere Treibhausgase, unter anderem Methan – in unschädlicher Art und Weise weiter aufzunehmen.
Die Lösung dieses Dilemmas in Bezug auf den Erhalt des westlichen Lebensstils – der zwischenzeitlich bereits die standardmäßig freie Wahl des eigenen Geschlechts im Wege der operativen Umwandlung im Sinne eines Menschenrechts auf Befreiung von den Fesseln der Biologie umfasst – liegt nun natürlich nicht in der Kappung des Energieverbrauchs und gesteuerten Preisgabe von Produktivität, sondern in vermeintlich andersartiger Energiegewinnung.
Wenn die materielle Wirtschaftstätigkeit des Menschen darin besteht, Naturstoffe mit Hilfe von Energie in andere Stoffe – Produkte – umzuwandeln, bildet die Entwicklung des Energieverbrauchs einen guten Maßstab für den Verbrauch an Naturstoffen.
Dass ein Ersatz fossiler Brennstoffe unter der Prämisse ausschließlich elektrischer Energienutzung durch sogenannte erneuerbare Energie theoretisch möglich ist, steht außer Frage. Es reicht ja, genügend Windkraft- und Solaranlagen zu errichten und Speichertechnologien zu entwickeln und alle Autos und Maschinen auf Elektroantrieb umzustellen.
Berücksichtigt man, dass der europäische New Green Deal kein vollständiges Verbot von Co2-Emmissionen vorsieht, sondern Kompensationen beispielsweise in Form von Aufforstungen – vorzugsweise am anderen Ende der Welt – zulässt (sogenannte Nettoemissionen), hat man hier eine mehr oder weniger komplette Darstellung des Programms zur Weltrettung westlicher Staaten und der deutschen Bundesregierung.
Wen kümmert es im moralischen Überschwang der vermeintlich selbstlosen Weltrettung, dass der Weg zu dem so beschriebenen Ziel über eine enorme Steigerung des Bedarfs an fossilen Brennstoffen führt und durch den Ausbau erneuerbarer Energien eine wirkliche Substitution fossiler Brennstoffe weder im nationalen noch im internationalen Maßstab stattfinden wird?
Die Grenzen der Physik bleiben unberührt
Nicht nur erzeugt Strom aus erneuerbaren Energien dem bisherigen Volumen nach längst noch keine entsprechenden Anlagen. Und der Herstellungsprozess vom Rohstoff bis zur fertigen Anlage beruht bislang ohnehin in erster Linie auf dem Einsatz fossiler Energien, bei Steigerung der Herstellung also auf einer Steigerung des Einsatzes fossiler Energie. Letzteres lässt sich ganz einfach daran bemessen, dass die hohe Produktivität der westlichen Industriestaaten an einen vergleichsweise enorm hohen Pro-Kopf-Verbrauch an fossiler Energie gekoppelt ist.
Denn anders als in der populären Vorstellung beruht Produktivitätsfortschritt nicht in erster Linie auf menschlicher Erfindungsgabe, weil die effektive Hebelung menschlicher Arbeitskraft physikalisch notwendig auf höherem Energieeinsatz beruht. Der immer größere Maschinenpark der Menschheit (nicht zuletzt digitale Anwendungen) verbraucht immer größere Mengen an Energie, die bislang insbesondere in Form von Erdöl in geradezu mythologisch verdichteter Form („Schwarzes Gold“) zur Verfügung stand.
Abgesehen davon, dass auch energetische Effizienzgewinne nicht zur Substituierung fossiler Energie, sondern nur zur Einsatzverlagerung führen, betreffen Effizienzgewinne nur die Annäherung an den physikalisch notwendigen Energieeinsatz – also nur die Reduzierung objektiv vorhandener “Energieverschwendung”. Die Grenzen der Physik bleiben unberührt.
Der verstärkte Einsatz des zur Verfügung stehenden Produktionskapitals oder dessen Erweiterung jeweils zum Zwecke der Steigerung der Produktion von Windkraft- oder Solaranlagen führt damit automatisch zu einer Steigerung des Bedarfs und Verbrauchs fossiler Energien. Das lässt sich auch so ausdrücken: Das zur Herstellung von Massen derartiger Anlagen erforderliche Wirtschaftswachstum (wo auch immer es stattfindet und so der eigene nationale Co2-Fußabdruck klein gerechnet werden kann) beruht ganz traditionell auf dem Einsatz fossiler Energie – worauf auch sonst?
Der New Green Deal führt zu einem massiven Anstieg des Energie- und Ressourcenverbrauchs der westlichen Staaten und insoweit einer Wiederholung der unverhältnismäßig hohen Inanspruchnahme des weltweiten Ressourcenvorrats durch den Westen. So einfach wie in der Vergangenheit wird dies nicht von statten gehen.
Kompensation und Gegenkompensation
Auch muss man kein Prophet sein, um festzustellen: Eine effektive Überprüfung des Nettoemmissionsprinzips auf nationaler Ebene auf Grund des schwunghaften und bürokratisch nicht beherrschbaren Ablasshandels mit angeblichen Kompensationsmaßnahmen für den Co2-Ausstoß wird nicht möglich sein. Überhaupt ist das Nettoemmissionsprinzip für das Klimamanagement eine Mogelpackung. Auch durch tatsächliche Kompensationsmaßnahmen einzelner Akteure ist gar nicht sichergestellt, dass ein Co2-Ausstoß per saldo "klimaneutral" erfolgt. Klimaneutral ist er auf Grund der Kompensationsmaßnahme nur dann, wenn die Welt im übrigen unverändert bleibt, die beabsichtigte Kompensation also nicht irgendwo auf der Welt gegenkompensiert wird. Da diese Bedingung nicht sichergestellt ist, ist auch die Unschädlichkeit weiter zugelassener Co2-Emmissionen für das Weltklima nicht verifizierbar und durchaus zweifelhaft.
International führt der ansteigende Park von Anlagen zur Energieerzeugung in den westlichen Industriestaaten sicherlich nicht zu einem Rückgang des Verbrauchs an fossiler Energie, weil kein Zusammenhang besteht. Sofern über die Lebensdauer derartiger Anlagen – nach dem Verbrauch fossiler Energie zur Herstellung – hinaus per Saldo zusätzlich Energie erzeugt (eigentlich: genutzt) wird, findet keine Substitution statt. Es bleibt nur mehr fossile Energie zur Nutzung durch andere. Die Übung insgesamt führt dann über höheren Energieverbrauch zu mehr Ressourcenverbrauch.
Auch ist die Effizienz des Einsatzes fossiler Energien für die Wirtschaftsentwicklung weitaus höher als die des Einsatzes erneuerbarer Energien, die mithin keine wirkliche Entwicklungsalternative darstellen. Warum fossile Energie für die Herstellung erneuerbarer Energien verwenden, wenn sie auch direkt eingesetzt werden kann?
Man stelle sich nur einmal die Entwicklung der westlichen Industriestaaten ohne den Einsatz fossiler Energie – Kohle, Gas und Erdöl – vor. Bei aller menschlichen Erfindungsgabe hätte der langfristig stetige Anstieg der Produktivität – die Tatsache, dass eine Stunde menschlicher Arbeitskraft ständig steigende Gütermengen wert wurde – schlicht nicht stattgefunden. Ob er in Zukunft weiter stattfinden wird, ist keine wirtschafts- oder gesellschaftspolitische, sondern eine energetische Fragestellung.
Weiter So im grünen Gewand
Unter welchem Gesichtspunkt also Nationen unterhalb des Wohlstandsniveaus westlicher Staaten auf den Einsatz fossiler Brennstoffe für die Ziele ihrer eigenen Entwicklung verzichten sollten, ist nicht ersichtlich. Denn der Westen tut es mit der Errichtung von Anlagen für erneuerbare Energien selbst nicht. Er greift auch für vermeintlich grünes Wirtschaftswachstum massiv auf fossile Energie zurück.
Nimmt man Elektrofahrzeuge mit ins Bild, wird klar, dass ein Ersatz des weltweiten Pkw-Parks außerhalb des Leistungsvermögens des Planeten Erde liegt. Um die für ein Elektroauto notwendigen Metalle und Mineralien in der erforderlichen Gesamtmenge bereitzustellen, wäre eine sagenhafte und praktisch unerreichbare weltweite Steigerung der Anzahl entsprechender Minen notwendig.
Damit rückt für die Menschheit – abgesehen von der ausstehenden Erschöpfung ausreichender fossiler Fundstätten und der damit eintretenden ungesteuerten Preisgabe von Produktivität – über den Umweg des Wohin das Woher als begrenzende Existenzbedingung ins unmittelbare Bewusstsein.
Für den Westen und dort paradoxerweise insbesondere für die Grünen gilt dieser Befund bisher allerdings nicht. Er glaubt an das Weiter So im grünen Gewand. Wie sich unter anderem an der weitgehenden Wirkungslosigkeit westlicher Wirtschaftssanktionen gegen den russischen Rohstoffriesen zeigt, ist ausgerechnet das westliche "grüne" Bewusstsein ein Opfer des langandauernd für selbstverständlich erachteten Energie- und Rohstoffreichtums.
So selbstverständlich war der Westen bislang mit Energie und Rohstoffen versorgt, dass er ihre physikalische Bedeutung für den Produktionsprozess gänzlich aus den Augen verloren hat. Der westliche Mensch mutiert, angetrieben von der vermeintlichen Immaterialität des Internets und der Elektronik, zum reinen Geisteswesen, das – im Wege des Transgenderismus und Transhumanismus – danach strebt, sich von den Zufällen seiner Physis zu befreien.
Mit der Zielbeschreibung des New Green Deal wird der tatsächliche Weg bis dorthin und die auf ihm liegenden Realitäten der Physik zweitrangig. Es herrscht schierer Voluntarismus. In diese Kategorie fällt auch die Auflösung staatlicher Grenzen und Institutionen sowie die atemberaubende Preisgabe der kulturellen Energie, die bisher in die Errichtung und Aufrechterhaltung gesellschaftlicher Ordnungen geflossen ist. Mit anderen Worten: Energie- und Technikphantasien treten an die Stelle langfristig erworbener kultureller Strukturen.
Die westlich-woke “grüne” Elite glaubt an die Verbesserung des Menschengeschlechts durch individuell verordnete Moralität, weil sie im für selbstverständlich gehaltenen Energieüberfluss und dem Glauben an technische Machbarkeit den Bezug zu den realen Grenzen und Unwägbarkeiten der menschlichen Existenz auf allen Ebenen verloren hat. Die Versuchung, von westlicher Dekadenz zu sprechen, ist groß.