Debatte

WBGD – oder: Mit Frankensteins Tochter nach Davos

| 07. März 2023
istock.com/Leptospira

Die Philosophin Anna Smajdor will die Reproduktionsfähigkeit von Frauen mithilfe hirntoter Leihmütter kommerzialisieren. Was sagt das über unsere Gesellschaft aus?

Vor etwas über 200 Jahren veröffentlichte eine begabte junge englische Literatin namens Mary Shelley den Roman "Frankenstein, or the modern Prometheus". Nie wirklich vergessen, bildete dieser Roman dann im 20. Jahrhundert die Basis nicht nur für Dutzende Filme, sondern auch Bühnenstücke oder Umerzählungen anderer Autoren. Solche Art Nachwirken deutet meist darauf hin, dass da "ein Nerv getroffen wurde".

Und die Erzählung vom Arzt Dr. Frankenstein, der in seinem Labor einen ganz eigenen Schöpfungsprozess initiieren will, nämlich "neues Leben aus toter Materie" zu erschaffen, stellt eben auch ganz grundsätzliche Fragen zu dem, was Menschen tun können und was sie tun dürfen.

Dem technischen Umfeld der Zeit um 1818 geschuldet, ist die Materie, die Dr. Frankenstein zum Leben erwecken will, allerdings "notgedrungen" erst einmal abgestorbenes Leben. In den späteren Filmversionen operiert er sich seinen neuen "Supermenschen" aus von Friedhöfen gestohlenen Leichenteilen zusammen, der – visuell besonders reizvoll für das Kino des frühen zwanzigsten Jahrhunderts – durch den Energiestoß eines Blitzes zum Leben erweckt wird.

Und während in den frühen Filmen die Figur des prometheischen Arztes von der Bildgewalt der Monster-Darsteller wie Boris Karloff oder Bela Lugosi an die Seite gedrängt wird, bildet etwa in Kenneth Branaghs Verfilmung von 1997 eher die innere Zerrissenheit des Dr. Frankenstein selber das Hauptthema.

Denn dieser Dr. Frankenstein ist – heute drängt sich dieser Eindruck auf – geradezu die Urfigur eines "mad scientist", der auch in anderen Film-Schurken wie Rotwang in „Metropolis“ oder „Dr. No“ im gleichnamigen James Bond-Film seine Wiedergänger findet. Unbeirrt von moralischen Skrupeln basteln sie entweder an der Transformation menschlicher Wesen in Roboter (wie Rotwang), oder aber der nuklearen Unterwerfung der Menschheit (wie Dr. No).

Gehirntote als Leihmütter

Interessanterweise ist die Spielwiese für neuerliche "Frankensteins" wieder die Biologie geworden. Aber mit anrüchigen Leichenteilen wie einst Frankenstein muss im 21. Jahrhundert niemand mehr hantieren, schließlich gibt es Gen-Sequencer und "Werkzeuge" wie CRISPR/Cas, mit denen nun auf genetischer Ebene an die Verbesserung des Konzeptes "Mensch" herangegangen werden kann. Und während Dr. Frankenstein noch sein Privatvermögen einsetzen musste, haben seine Nachfolger längst ergiebigere Quellen aufgetan – "gemeinnützige" Stiftungen von Milliardären wie Gates oder Soros oder aber den größten Sponsor überhaupt, das US-Militär.

Was da in Fort Detrick, in Wuhan oder aber in den Pentagon-finanzierten Laboren in der Ukraine wirklich erforscht wird, erfährt das Publikum eher nicht – die Antworten "könnten zur Verunsicherung der Bevölkerung führen".

Für eine Weile wird aber die menschliche Nachkommenschaft noch nicht "on the bottom of a long glass tube" produziert, sondern in den dafür bestimmten Organen eines Teils der Menschheit, den unverbesserliche Traditionalisten noch "Frauen" nennen, für die die korrekte Bezeichnung aber wohl "people that menstruate" lauten soll (wie eine J.K. Rowling schmerzhaft erfahren musste).

Nun sind Schwangerschaft und Geburt Vorgänge, die, wie wir alle wissen, nicht ohne Mühen und Schmerzen ablaufen. Weswegen es im Englischen auch den Begriff "labour" für den Geburtsvorgang gibt. Genau hier kommt die moderne Wissenschaft in Form einer an der Universität Oslo tätigen Dr. Anna Smajdor zu Hilfe. Machte sie sich in einer Publikation aus dem Jahr 2013 noch Gedanken über die "Die Moralische Notwendigkeit zur Ektogenese" – wobei hier Ektogenese die Aufzucht eines menschlichen Fötus in einer künstlichen Gebärmutter darstellt – so stellt sie sich in einer 2022 publizierten Arbeit der traurigen Tatsache, dass es wohl noch keine geeigneten künstlichen Gebärmütter gibt.

Ihr Ausweg heißt "Whole Body Gestational Donation" oder WBGD. WGBD meint eine erweiterte Körperorgan-Spende, die Spender bzw. Spenderinnen sollen gleich den ganzen Körper "spenden". Im Blick hat Smajdor dabei diejenigen Personen oder eben Frauen, die sich zum Beispiel infolge eines Unfalls in einem "PVS" befinden, in einem "permanent vegetative state", also ohne (messbare) Gehirnaktivität, aber bei ansonsten intakten Körperfunktionen. Als praktisches Vorbild mag Smajdor vielleicht der Fall einer portugiesischen Sportlerin gedient haben, die – vier Monate, nachdem sie als hirntot diagnostiziert worden war – per Kaiserschnitt von einem gesunden Kind entbunden wurde. Jedenfalls sollen nach dem Konzept von Smajdor in die Gebärmütter dieser Frauen "in vitro" befruchtete Eizellen anderer Frauen eingebracht und die so entstandenen Föten bis zur Geburtsreife "ausgebrütet" werden, um dann vermutlich ebenfalls per Kaiserschnitt entbunden oder "geerntet" zu werden.

Probleme, die sich lösen lassen

Smajdor weiß sehr wohl um die Problematiken, die ihr Konzept einer WBGD aufwerfen kann. Zum einen ist die Anzahl hinreichend körperlich unversehrter Frauen in "PVS", die für eine solche WBGD in Frage kommen könnten, ohnehin sehr beschränkt. Wäre die Auswahl durch ein von den betreffenden Personen noch zu Lebzeiten abzugebendes Einverständnis abhängig, könnte die Anzahl verfügbarer Spenderkörper leicht infinitesimal klein werden. Weswegen Smajdor – durchaus folgerichtig – für ein sogenanntes opt-out-Modell plädiert: die Bürger müssen sich vorab aktiv gegen Organspenden aussprechen, ansonsten stehen ihre Organe (oder eben ganze Körper) nach Ableben bzw. der Diagnose von "PVS" zur medizinischen Verwertung frei.

Möglichen Einwänden aus feministischen Kreisen widmet die Autorin ein ganzes Kapitel:

"Es gibt Aspekte der WBGD, die von einer feministischen Perspektive aus als unakzeptabel betrachtet werden könnten."

Und sie gibt auch unumwunden zu: "The reproductive capacity is in some senses commodified (...)" – die Reproduktionsfähigkeit der betroffenen Frauen werde durch WBGD in gewisser Weise "kommodifiziert" oder kommerzialisiert. Das ist sicher richtig eingeordnet, denn schon das bisherige Leihmutter-Geschäft wird ja hauptsächlich von vermögenderen Gesellschaftsschichten in Anspruch genommen, bei WBGD wäre es sicher nicht anders. Ebenso offen und mit Hervorhebung der Autorin: "WBGD is quite straightforwardly the use of the body as a foetal container" – die Methode reduziert den Frauenkörper also ausdrücklich zum Fötus-Behältnis. Mithin eine Einstellung, die Feministinnen naturgemäß nicht gefallen kann.

Smajdor weiß aber auch solche Bedenken zu zerstreuen. Denn wenn es gelänge, auch Männer zum "foetal container" zu machen, sprich eine Schwangerschaft im Männerkörper auszulösen und bis zur erfolgreichen Austragung zu bringen, wäre ja die Gleichberechtigung wieder – oder geradezu erst eigentlich hergestellt. Und gerade da gäben neueste Forschungen berechtigte Hoffnungen, dass auch dies bald gelingen könnte. Als Einpflanzungsorgan böte sich die gut durchblutete Leber an.

Ihr Kronzeuge, ein Robert Winston, sei überzeugt, dass sich die diesbezüglichen Probleme bald lösen ließen. Nur die schließliche "Geburt" könne wohl riskant bis hin zum tödlichen Ausgang für den Austragenden sein. Aber auch dies ist kein Problem für Smajdor, da sich ihre Ganzkörperspende ja ausdrücklich auf hirntote Spender bezieht: "But for brain-dead donors, the concept 'fatal' is meaningless: the gestator is already dead" – das Risiko "tödlicher Ausgang" sei für die in Betracht gezogene Zielgruppe der Hirntoten irrelevant, da dieselben ja per definitionem schon tot seien.

Man sieht also, dass dem erfolgreichen Implantieren vermutlich vorher intensiv auf genetische Aberrationen geprüfter Eizellen in hirntote "Ganzkörper-Spender" samt späterer "Ernte" der Wunschbabys eigentlich nichts Wesentliches entgegensteht.

Geistesverwandte – oder: Transhumanismus

Das Davos im Titel dieses Textes steht natürlich nicht für den bekannten Ort in den Schweizer Alpen, sondern für das World Economic Forum, welches dortselbst jährlich eine mittlerweile von erheblichem medialen Rummel begleitete Veranstaltung abhält. Ob die Smajdor dort jemals Gast war, bleibt hier offen. Aber ein Geistesverwandter war schon mehrfach dort eingeladen, um Vorträge zu halten: Der israelische Historiker und Bestseller-Autor Yuval Noah Harari. Und auch Harari ist in jene Denkrichtung einzuordnen, die von manchen als "Transhumanismus" bezeichnet wird. Diese Personen eint die Vorstellung, dass das bisherige Menschenmaterial unzureichend und dringend verbesserungswürdig sei.

In seinem Buch "Homo deus" postuliert Harari zwar, dass die Menschen eigentlich schon Götter seien oder mindestens kurz vor der Gottwerdung stünden. Wobei leicht herauszulesen ist, dass Harari in die Klasse dieser Gottgleichen zuvorderst die bisherigen Eliten einsortiert, schon weil sie sich die technisch-materiellen Mittel dazu leisten können. "Death is just a technical problem" verheißt der Klappentext – und das ist sicher eine Botschaft, die unter den sehr reichen und oft genug sehr alten Eliten-Repräsentanten wie Soros oder Buffett gern gehört wird.

In so eine Geisteswelt passt die Idee der optimalen Verwertung von hirntoten Frauenkörpern vorzüglich. Wer sich also, möglicherweise in fortgeschrittenem Alter, noch einmal biologisch "reproduzieren" will, aber keine Lust auf den mühsamen Umgang mit lebendigen Leihmüttern etwa aus der Ukraine (vor dem Februar 2022 die erste Adresse für diese "Dienstleistung" in Europa) hat, der könnte demnächst die sicher nicht ganz billigen Dienste einer "PVS-Leih-Gebärmutter"-Vermittlung in Anspruch nehmen.

Und was hat das WEF damit zu tun? Deren Vorsitzender Klaus Schwab skizzierte in diversen Schriften seine Vorstellung von einem "Great Reset", der alle bisherigen wirtschaftlich-gesellschaftlichen Prozesse "transformieren" will in eine Welt neuer Ordnung: "Wir werden nichts besitzen, aber wir werden glücklich sein!". Doch dass so herrlich inklusiv klingende "wir" ist wohl eher als "ihr, die Besitzarmen und Einflusslosen" zu lesen.

"Erweiterung des Diskursraumes"

Vor einigen Jahren wurde in einer Diskussion um Organspende-Ausweise und Aufnahme in entsprechende Datenbanken folgendes interessante Argument eingebracht:

"Was passiert denn, wenn einem sehr reichen, aber kranken Menschen in den entsprechenden Datenbanken auf die Anfrage nach einem passenden Spenderorgan mein Name angezeigt wird – wer garantiert mir, dass jener reiche Mensch nicht einen Auftragskiller in z.B. mein Urlaubsland schickt, um mich kostengünstig und in der Ausführung sozusagen ‚medizinisch passend‘ in ein Spender-'Objekt' zu verwandeln?"

Angesichts der gerade während der Corona-Pandemie massenhaft durchgeführten DNA-Tests, deren Ergebnisse möglicherweise in von "zentralen Stellen" abrufbaren Datenbanken abgelegt wurden, ein gar nicht zu unterschätzender Einwand. Dazu passen auch die Bemühungen um einen international gültigen, digitalen "Gesundheitspass", der unter anderem als "Known Traveller" oder "ID2020" bekannt ist.

Zurück zu WBGD: Die Video-Blogger Sven Böttcher und Matthias Burchardt ordnen in ihrem Video Nr.72 solche akademischen Vorstöße weiter ein: Es gehe weniger um die konkret propagierte Maßnahme an sich, sondern um die "Erweiterung des Diskursraumes" in eine Richtung, die dann auch größeren Kreisen solche technokratischen Eingriffe in Menschenleben zuerst als denkbar und dann als machbar, möglicherweise sogar wünschenswert erscheinen lasse.

Zeichen moralischer Dekadenz 

In ihrem Papier von 2013 beklagt Smajdor die überkommene Zuteilung von Schwangerschaft und Geburt mitsamt ihren inhärenten Risiken allein auf das weibliche Geschlecht: "This … is a prima facie injustice." Und da hat sie zweifelsohne recht, das ist eine Ungerechtigkeit.

Man kann nun das Faktum der Zuteilung der Mutterrolle einzig auf das weibliche Geschlecht als ungerecht beklagen, oder aber akzeptieren, dass es diese und andere biologischen Ungerechtigkeiten nun einmal gibt. Die Mühen und Schmerzen von Schwangerschaft und Geburt lassen sich dadurch zwar nicht wegzaubern. Möglicherweise sind es aber gerade diese, die ein einzigartiges menschliches Band zwischen Mutter und Kind schaffen.

Es gäbe auch andere Ungerechtigkeiten zu bemängeln: Wieso werden reihenweise Geburtsstationen wegen mangelnder Rentabilität geschlossen, anstatt gerade diesen Bereich des Gesundheitswesens auszubauen, um die "inhärenten Risiken" von Schwangerschaft und Geburt bestmöglich zu reduzieren?

Eines scheint klar: Das Gedankenkind namens "WBGD" mit seiner "Kommodifizierung" oder eben Kommerzialisierung hirntoter Frauenkörper passt fugenlos in ein Konzept der Total-Ökonomisierung aller Lebensbereiche, wie sie seit dem Fall des ersten "Eisernen Vorhangs" mit zunehmendem Tempo verfolgt wird. Und es würde nicht wundern, wenn nun genau in den Ländern jenseits des nunmehr "Neuen Eisernen Vorhangs" solche Aufsätze als Zeichen moralischer Dekadenz betrachtet würden.