Erneuerbare-Energien-Gesetz - 5

Ist die Energiewende unsozial?

| 28. April 2021
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Erschwingliche Energiepreise für alle Bürger sind ein wichtiges politisches Ziel. Denn gerne werden mit sozialen Bedenken Klimaschutzmaßnahmen, wie etwa eine CO2-Abgabe, als unverhältnismäßig abgelehnt.

Auf ihrer Stromrechnung können die Stromkunden direkt ablesen, in welcher Höhe sie die erneuerbaren Energien subventionieren: ca. 45 % des Preises sind der Stromerzeugung zuzurechnen, fast 23 %, mehr als die Hälfte der Stromerzeugungskosten also, auf die EEG-Umlage.

Hinzu kommt, dass Wind- und Solarstrom die Strompreise an der Börse drücken; sogar negative Preise, bei denen der Erzeuger für die Abnahme seines Stroms bezahlen muss, kommen bei guten Wetterlagen vor. Die Kunden merken in ihrem Portemonnaie davon nichts und zahlen vielleicht sogar mehr.

Dieses Paradox erklärt sich daraus, dass am Spotmarkt die Stromgestehungskosten, also die laufenden Kosten, den Preis bestimmen. Beim Handel zum Zuge kommen alle Anbieter in der Reihenfolge ihrer Gestehungskosten bis hin zum teuersten Produzenten, der gerade noch gebraucht wird. Und letzterer bestimmt den Preis; alle, die günstiger anbieten, fahren Gewinne ein. Ohne Erneuerbare standen die Atomkraftwerke am unteren Preisende dieser merit order, heute sind es Wind- und Solarenergie. Und deren Gestehungskosten liegen bei nahe null. Die Erzeuger bekommen aber gemäß EEG die Differenz zwischen Marktpreis und garantierter Vergütung erstattet. Auf diese Weise erhöht sich bei niedrigen Strombörsenpreisen die EEG-Umlage.

Aber zurück zur Stromrechnung: Ca. 24 % des Strompreises geht an die Netzbetreiber. Und auch dieser Betrag enthält Kosten für die Energiewende, denn der dafür notwendige Umbau der Netze und auch die aufwändigen Regulierungsmaßnahmen sind kostspielig und unterliegen wegen der Monopolstellung der Netzbetreiber zudem keiner Preiskonkurrenz.

Wer zur Miete wohnt und mit einem niedrigen Einkommen auskommen muss, sieht dann vielleicht, dass der besser- bis gutsituierte Mittelstand seine Eigenheimdächer mit Photovoltaik zupflastert, dafür über die EEG-Umlage gute Renditen erzielt und sich gleichzeitig darüber beschwert, wenn er für den selbstverbrauchten Strom EEG-Umlage bezahlen soll. Schließlich müsse man ja auch die eigenen Birnen nicht versteuern. Und tatsächlich wurden kleine Anlagen von der Zahlung befreit. Das ist sicher ein guter Anreiz für den Zubau von Photovoltaik, muss aber die kleinen Leute ohne eigene Photovoltaikanlage aber nicht unbedingt überzeugen: Schließlich gibt es ja für Obst aus Privatgärten auch keine staatliche Abnahmegarantie zum Festpreis.

Sozial oder unsozial - eine politische Entscheidung

Ganz praktisch könnten hier Mieterstrommodelle Abhilfe schaffen: die Versorgung der Mieter durch günstigen, auf den Dächern ihrer Wohnanlagen erzeugten Solarstrom. Das Problem bisher: Die dafür nötige Bürokratie schreckte selbst die wohlwollendsten Hauseigentümer ab, denn es reichte nicht, die Anlage zu installieren, den Strom abzurechnen und zu versteuern (wer eine Photovoltaik-Anlage betreibt, gilt als Unternehmer mit den entsprechenden steuerlichen Pflichten). Nein, jetzt mussten sie den Mietern gegenüber auch noch als vollwertige Stromanbieter fungieren und diese auch nachts und an trüben Tagen mit Strom beliefern, den sie selbst bei einem anderen Stromanbieter einkaufen mussten. Diesbezüglich wird vom Gesetzgeber gerade kräftig nachgebessert.

Auch vor grundsätzlichen Änderungen wird dabei zurzeit nicht Halt gemacht: Während Wirtschaftsminister Peter Altmaier vorschlug, vollständig vom EEG-Prinzip der Internalisierung der Kosten für die Strom-Energiewende abzugehen, und die Umlage insgesamt aus ‚Steuermitteln‘ zu bestreiten, soll diese wohl nun zumindest staatlich bezuschusst und stabilisiert werden.

So wird wieder einmal deutlich: wie sozial oder unsozial eine Maßnahme ist, ist eine politische Entscheidung. Der Weg zum richtigen Ziel kann sehr unterschiedlich gestaltet werden. Und so wird die Energiewende nicht nur zum Gegenstand unterschiedlicher Wirtschaftsinteressen, sondern auch zu einer sozialen Frage. Vergessen wir nicht, dass ca. 28 % der Stromkosten aus Steuern und anderen Abgaben an den Staat bestehen. Für den Gesetzgeber wäre also durchaus Raum für Entlastungen der unteren Einkommensschichten gegeben.

Teile der Wirtschaft werden schon lange entlastet: Betriebe mit hohem bis sehr hohem Energieverbrauch sind von der EEG-Umlage befreit, um ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten, so die offizielle Begründung. Diese Regelung erhöht nicht unerheblich den auf die übrigen Stromkunden umgelegten Betrag. Nach Berechnung eines Marburger Vereins sind das durchschnittlich ca. 65 € pro Jahr und Haushalt. Deswegen strebt der Verein eine Klage gegen diese Regelung an und sucht eine Klägerin mit relativ hohem Strom-Verbrauch, die nicht von der Umlage befreit ist.

Firmen mit hohem Verbrauch können in Deutschland auch von erheblichen Teilen der Netzumlage befreit werden. Eine Klage beim EuGH gegen diese Regelung scheiterte. Die Befreiung wird mit der Netzstabilisierung begründet, die hohe Stromverbräuche mit sich bringen. Ganz einleuchten will das nicht, schließlich ist doch eigentlich die Flexibilität eines Verbrauchers für die erfolgreiche Synchronisierung im Netz entscheidend.

Insgesamt könnte man all diese Regelungen innen- und außenpolitisch als unfair betrachten - sozial und auch mit Blick auf den Standortwettbewerb

Bei alle dem Hin-und-Her der Gesetzgebung darf aber nicht vergessen werden: es ist der Klimawandel selbst, der ohne adäquate Gegenmaßnahmen für uns alle und die nachfolgenden Generationen extreme Folgen haben wird. Und sicher ist, dass diese Folgen die ärmeren Bevölkerungsteile weltweit am meisten betreffen werden. Das Umweltbundesamt beziffert die Treibhausgaskosten der Energieerzeugung mit 180 Euro pro ausgestoßener Tonne CO2. Pro Kilowattstunde Strom sind das für Strom aus Braunkohle knapp 0,19 Euro, Erdgas 0,08 Euro, Strom aus Biomassen 0,044 Euro, Photovoltaik, 0,0123 Euro und Wind 0,0018 Euro. So gesehen sparen wir mit der derzeitigen EEG-Umlage von 0,065 Euro im Vergleich zu einer vollständigen Internalisierung aller Stromerzeugungskosten aus fossilen Energien viel Geld.

Energiewende auch volkswirtschaftlich die beste Lösung

Das Fraunhofer Institut hat die volkswirtschaftlichen Kosten einer fast vollständigen Energieversorgung aus erneuerbaren Energien für die Bereiche Strom und Wärme berechnet. Demnach betragen diese nach erfolgter Umstrukturierung dauerhaft 120 Milliarden Euro pro Jahr, etwas weniger als wir heute für Energie zahlen. Demgegenüber würden die Energiekosten aus konventionellen Quellen je nach Höhe der Preissteigerungen im günstigsten Fall bis 2050 auf 150 Milliarden, im ungünstigsten sogar auf 350 Milliarden Euro steigen. Und in diesem Betrag sind die Umweltkosten noch gar nicht enthalten.

Der Umstieg auf erneuerbare Energien ist also auch volkswirtschaftlich die beste Lösung. Gleichzeitig müssen wir den Umbau möglichst gerecht hinbekommen. Wie organisieren wir also die Staatsinfrastrukturaufgabe Energieversorgung?

Privatisierung, Innovationen, Wandel

Im Rahmen der EU hat sich Deutschland grundsätzlich für den Privatisierungsweg entschieden.

Mir scheint, dass das für den Bereich erneuerbare Energien eine Fülle innovativer Ideen hervorgebracht hat, sowohl was die Erzeugung als auch den Handel und die Serviceleistungen, zum Beispiel bei der Bündelung dezentraler Energieproduktion, betrifft. Gleichzeitig trägt der Börsenhandel nicht nur zur Preisfindung bei sondern auch zur Netzstabilität, da fehlender oder überschüssiger Strom schon im Vorfeld durch Handel im 15-Minuten-Takt ausgeglichen werden kann und nicht erst durch Eingriffe der Netzbetreiber.

Ohne die dank EEG und anderen Maßnahmen relativ hohe Investitionssicherheit wäre diese Entwicklung, die hauptsächlich von mittelständischen Betrieben, Bürgergemeinschaften und einzelnen Bürgern getragen wurde, jedoch nicht möglich gewesen.

Jetzt ist der Kohleausstieg, wenn auch nicht optimal, auf den Weg gebracht. Der 10 Jahre lange Streit um Entschädigungen der Stromriesen für entgangene Gewinne und umsonst getätigte Investitionen infolge des Atomausstiegs ist nun mit Zahlungen der Bundesregierung von insgesamt 2,43 Milliarden Euro beigelegt.

Wie wird sich der Markt jetzt weiterentwickeln, wenn die Kohle- und Atomkraftwerke geschlossen werden, und die Großunternehmen von konventioneller auf erneuerbare Energieversorgung umsteigen, während die Subventionen für erneuerbare Energien weiter abnehmen?

Diese Entwicklung beginnt gerade erst. EO.N und RWE haben in einem stark kritisierten Deal die Geschäftsbereiche abgesteckt, wobei EO.N sich auf die Netze konzentrieren wird, während RWE die Produktion aus erneuerbaren Energien übernimmt und gerade angekündigt hat, im In- und Ausland in den kommenden Jahren mindestens 5 Milliarden Euro in Erneuerbare-Energie-Projekte zu investieren. Der Konzern sieht in den Mitteln für den Green Deal der EU, aber auch den Corona-Hilfen „die große Chance, eine neue, nachhaltige Industrie schneller aufzubauen, als das in normalen Zeiten der Fall wäre“. EnBV baut in Brandenburg gerade zwei förderfreie Photovoltaik-Großanlagen zu je 150 Megawatt, womit rechnerisch ca. 90.000 Haushalte versorgt werden können.

Shell hat das virtuelle Kraftwerk ‚Next Kraftwerke‘ erworben. Dazu ein Manager des Konzerns: “Mit der Energiewende wandelt sich auch die Struktur des Strommarktes weg von wenigen großen Anbietern hin zu vielen kleineren. Zudem produzieren auch immer mehr Privathaushalte selbst Strom. An dieser Wertschöpfungskette wollen wir Teil haben. Daher nehmen wir Anbieter wie Next Kraftwerke in unser Portfolio auf, um damit unser Wachstum im Stromsegment zu beschleunigen. Die gebündelte Expertise beider Unternehmen wird es auch ermöglichen, die Absicherung und das Risikomanagement von großen Erneuerbaren-Energien-Projekten zu erleichtern.”

Von der Sache her werden Großprojekte genauso gebraucht wie viele dezentrale Energiequellen, deren Beitrag nicht zu unterschätzen ist. Inwieweit ein in Bezug auf Angebot, Marktchancen, Preise und Versorgungssicherheit produktives ‚Zusammenwirken‘ der großen Konzerne und der kleinen privaten und kommunalen Energieversorger, -händler und -dienstleister gelingen kann, ist noch offen.

Steht nun zu befürchten, dass beim gefeierten Green New Deal vollmundig der reset in eine neue grüne, sozialere und gerechtere Welt verkündet wird, real aber weit weniger geschieht als erforderlich, Mensch und Natur, vor allem in Ländern mit weniger strengen Regeln, Schaden nehmen und die Finanzindustrie mit neuen Produkten zum Zocken versorgt wird?

Ohne Privatisierung wären weitere Preissenkungen möglich

Und welchen Sinn macht die Privatisierung von natürlichen Monopolen bzw. von Daseinsvorsorge, die allen Bürgern gleichen Zugang und gleiche Standards gewährleistet? Wieso Strom-, Telekommunikations-, Straßen- und Schienennetze, der ÖPNV, das Bildungswesen, die Gesundheitsversorgung, Renten, Wohnverhältnisse und Kommunikationsplattformen besser werden sollen, wenn sie nicht nur ihren Zweck erfüllen, sondern auch Renditen für Aktionäre abwerfen, erschließt sich nicht.

Denn souveräne Staaten könnten ihre Infrastrukturaufgaben auch direkt finanzieren und brauchen das benötigte Geld nicht über die Finanzmärkte zu beschaffen. Ohne hohe Finanzierungs-Renditen könnten die Bürger eine viel günstigere Basisversorgung in Anspruch nehmen, und auch die Realwirtschaft würde profitieren.

Zudem sind auch bei einer privatisierten Daseinsvorsorge und Infrastruktur große staatliche Anstrengungen erforderlich, um eine gleichmäßige Versorgung für alle zu gewährleisten und die Preise nicht in unermessliche Höhen schnellen zu lassen. Dort wo das nicht geschieht, sehen die Lebensverhältnisse der meisten Menschen traurig aus. So regelt in Deutschland die Bundesnetzagentur die Höchstpreise für die Netzumlagen auf den Stromrechnungen und vieles mehr. Das Kartellamt hat RWE als potentiellen Monopolisten unter Beobachtung gestellt und behält sich vor, gegebenenfalls regulierend einzugreifen. Trotzdem hat RWE eine unverhältnismäßig starke Marktstellung. Wenn die Netzbetreiber nicht privatisiert wären, wären vermutlich weitere Preissenkungen möglich.

Dass in Deutschland im Infrastrukturbereich mehr Regulierungsbedarf besteht, zeigen auch die Berliner Auseinandersetzungen um Mietpreisdeckel und Enteignung von Großvermietern. Auch im Bereich Wohnen spielt das Thema Energie eine große Rolle.

Die Frage ob die Energiewende – nicht nur im Strombereich – überhaupt im erforderlichen Tempo gelingt, und wenn, auch noch in sozial-verträglicher Form, ist noch nicht entschieden.