Makroskop
Kommentar

Geld vergraben? Dann bitte für U-Bahnen!

| 07. Oktober 2025
IMAGO / Henning Scheffen

Für 700 Millionen Euro bekam Berlin drei Kilometer mehr Autobahn – und noch mehr Stau. Warum es höchste Zeit ist, Keynes beim Wort zu nehmen und das Geld lieber zu vergraben – solange es in U-Bahnschächte fällt.

In seinem berühmten Werk Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes macht John Maynard Keynes einen Vorschlag zum Abbau der Arbeitslosigkeit: Das Finanzministerium, so Keynes, könne doch alte Flaschen mit Banknoten füllen, um diese tief in alten Kohlebergwerken zu vergraben, damit private Unternehmen sie wieder ausgraben können, um auf diese Weise Arbeitsplätze zu schaffen.

Dieses Beispiel ist sarkastisch gemeint. Es ist eine Analogie zum Goldbergbau und hat eine kritische Intention. Es geht Keynes darum, zu zeigen, dass das Profitinteresse der Individuen ohne staatliche Eingriffe dazu führt, dass bestimmte sinnvolle Projekte – wie der Bau von Eisenbahntrassen oder Wohnungen – nicht angegangen werden. Andere staatliche Großprojekte (Keynes nennt den Bau von Pyramiden und Kathedralen) müssen natürlich nicht unbedingt als sinnvoll gelten. 

Eines der Großprojekte, deren Sinnhaftigkeit zumindest fragwürdig ist, ist das im August eröffnete sechszehnte Teilstück der A100 in Berlin: 3,2 Kilometer lang, 12 Jahre Bauzeit, 700 Millionen Euro Kosten; Deutschlands teuerstes Autobahnstück – und Stau gibt es trotzdem.

Im schlimmsten Fall wird durch den Bau von Stadtautobahnen die Fahrtzeit für die Autofahrer sogar länger – das sogenannte Braess-Paradoxon. Der Youtuber Steve Mould bietet ein gutes Erklärvideo dazu. Es handelt sich um eine Variante des Gefangenendilemmas mit einer großen Anzahl von Teilnehmern. Wenn die Fahrtzeit über die neue Autobahn – trotz Engpässe wie der Elsenbrücke in Berlin – kürzer ist, als die Fahrtzeit über alternative Routen, ist es individuell rational, die neue Autobahn zu nehmen. Doch handeln alle so, führt das zu Staus. Hätte man die neue Autobahn nicht, würde sich der Verkehr gleichmäßiger über die Stadt verteilen. Reduziert sich dadurch die Zahl der Engpässe im Straßennetz, kann das Paradox auftreten, dass sich die Fahrtzeiten durch die Entfernung einer Stadtautobahn oder Kraftfahrstraße sogar reduzieren.

Dies ist keine theoretische Spielerei. Das beste Beispiel ist das Cheonggyecheon Restoration Projekt in Seoul, bei dem die Entfernung einer Stadtautobahn zu einem geringeren Verkehrsaufkommen geführt hat.      

Wieso Großstädte schienengebundenen ÖPNV brauchen

Wenn sich durch den Abriss einer Stadtautobahn in Seoul der Verkehr sogar reduzierte, sollte man das sechszehnte Teilstück der A100 dann nicht wieder zurückbauen?

Nicht unbedingt. Der überwiegende Teil des Budgets für den Ausbau der Verkehrsinfrastruktur in den Metropolen sollte jedoch nicht in den Bau von Kraftfahrstraßen, sondern von U-Bahnen und S-Bahnen fließen. In Großstädten hängt die Geschwindigkeit des Autoverkehrs davon ab, wie schnell Pendler mit dem ÖPNV zur Arbeit kommen – ein anderes entscheidungstheoretisches Paradoxon, das Downs-Thompson-Paradoxon. Betrachtet man ausschließlich den Autoverkehr, ist die Entscheidung der Pendler, mit dem Auto zu fahren, ein Gefangenendilemma mit sehr vielen Teilnehmern. Wenn sich mehr Autofahrer dafür entscheiden, auf einer bestimmten Straße zu fahren, als diese Straße an Kapazität bietet, dann kommt es unvermeidlich zu zähfließenden Verkehr und Stau.

Quelle: TUMI - CC BY-SA 4.0 /wikimedia.org

Der Autoverkehr lässt sich jedoch nicht isoliert betrachten, da die meisten Großstädte über einen öffentlichen Nahverkehr verfügen. Unter der Prämisse, dass Menschen einigermaßen rational sind (also nicht aus Prestigegründen darauf bestehen, mit dem Auto zu fahren), werden sie den ÖPNV nutzen, sobald sie damit schneller ans Ziel kommen als mit dem Auto. Der Platzbedarf des Autoverkehrs ist jedoch wesentlich größer als der des ÖPNV.

Bei diesen Zahlen ist eindeutig, dass jede Großstadt zunächst ein gut ausgebautes Netz von Radwegen braucht. Wer nämlich nur eine kurze Strecke zur Arbeit, Schule oder Universität fahren muss, kann das auch gut mit dem Fahrrad machen. Und eine eigene Fahrradspur hat die Kapazität für 12.000 Pendler, eine Spur für Autos nur für 2000. Für kleinere Großstädte ist der Bau von Fahrradwegen die beste, weil kostengünstigste, Möglichkeit, die Zahl der Autofahrer im Berufsverkehr zu reduzieren.

Für längere Distanzen ist das Fahrrad jedoch oft nicht attraktiv genug. Jede Metropole braucht also ein Netz von Regionalbahnen in ihre Vororte (≈suburban rail), sowie U-Bahnen und S-Bahnen (heavy rail). Kleinere Großstädte kommen vielleicht auch mit einem Netz von Straßenbahnen aus (light rail). Bus Rapid Transit (BRT) hingegen ist eine Alternative, wenn die Finanzmittel fehlen, um die Investitionen für den schienengebundenen Nahverkehr zu stemmen. Allerdings hat eine Straßenbahn eine höhere Kapazität für Fahrgäste, verglichen mit einem Bus, und deswegen auch niedrigere Personalkosten.

Für eine Großstadt ab etwa 400.000 Einwohnern ist auch ein Netz von Straßenbahnen nicht mehr ausreichend. Straßenbahnen können, selbst wenn sie einen eigenen Gleiskörper parallel zur Straße haben, aus Gründen der Verkehrssicherheit maximal 60 km/h fahren. Bei U-Bahnen und S-Bahnen hängt die Maximalgeschwindigkeit hingegen theoretisch nur von den Abständen zwischen den Stationen ab, und der maximalen Beschleunigung, die man den Fahrgästen aus Gründen der Sicherheit zumuten kann und will. Da man mit dem ÖPNV schneller sein sollte als mit dem Auto, damit die Berufspendler überzeugt werden, auf den ÖPNV umzusteigen, ist das der entscheidende Vorteil.   

Warum Ostasien auf der Schiene vorne liegt

Typische U-Bahnen fahren mit einer Maximalgeschwindigkeit von 80 km/h, typische S-Bahnen und Regionalbahnen mit einer Maximalgeschwindigkeit von 140 km/h. Es gibt aber auch auf Stahlschienen Spielraum nach oben. Eine Linie der Metro Shanghai hat eine Maximalgeschwindigkeit von 120 km/h, und Seoul baut ein Netz von Regionalbahnen mit einer Maximalgeschwindigkeit von 180 km/h. Den Transrapid, die Expresslinie zum Flughafen Shanghai, lässt man allerdings aus Gründen der Wirtschaftlichkeit nur noch mit maximal 301 km/h fahren, nicht mit den ursprünglichen 430 km/h.

Als Technologietransfer hat der Bau des Transrapid China sicherlich Sinn ergeben, für den öffentlichen Personenverkehr innerhalb einer Stadt sind solche Geschwindigkeiten jedoch nicht notwendig. Das Bauunternehmen Max Bögl hat auf der Grundlage der Technologie des Transrapids das Transport System Bögl entwickelt, das für eine Maximalgeschwindigkeit von 150 km/h ausgelegt ist, und das in der Tat eine Alternative zu dem schienengebundenen ÖPNV auf Stahlschienen ist.   

Dass die ostasiatische Großstädte Seoul und Shanghai eine Vorreiterrolle bei dem Ausbau eines schnellen ÖPNV haben – und nicht etwa Städte in Deutschland – liegt nicht an einem Mangel an guten deutschen Ingenieuren. Es fehlt nur der politische Wille. Das Problem sind zum einem die Schwierigkeiten mit Großprojekten, deren hohe Kosten und lange Planungszeiten, zum anderen aber die fehlenden Finanzmittel für die Investitionen.

Aus keynesianischer Sicht ist dabei völlig unverständlich, wieso das Geld fehlen sollte, um in Großprojekte zu investieren. Um die Finanzmittel für den Ausbau der Infrastruktur aufzubringen, kann der Staat zum Beispiel die Reichen proportional stärker besteuern; die fiskalpolitische Dimension wurde in einem Essay: „Was tun mit den Superreichen?“ dargelegt.

Effektiv handelt es sich zwar um Subventionen, aber zum einem wird der Autoverkehr auch stark subventioniert (und die Daten, um die Höhe dieser Subventionen angeben zu können, werden nicht einmal hinreichend genau ermittelt). Zum anderen müssen die Pendler zur Arbeit kommen – und sie würden, wenn sie die Transportkosten vollständig selbst aufbringen müssten, entsprechend höhere Löhne fordern. Indem der Staat den ÖPNV subventioniert, wird der Verteilungskonflikt über die Kosten des Verkehrs entschärft.   

Die Situation in Hannover

2026 sind in der Region Hannover Kommunalwahlen. Die nötigen Investitionen in den Bau von U-Bahnen sind in Hannover noch lange nicht absehbar. Seit den 1960er Jahren war ein weiterer U-Bahn-Tunnel in der Stadt geplant, der sogenannte „D-Tunnel“, von dem jetzt nur die letzten Stationen unterirdisch realisiert werden sollen. Alle weiteren Ausbaumaßnahmen sollen oberirdisch erfolgen. Dafür wird der Autoverkehr auf den Schnellwegen in Hannover teilweise unter die Erde verlegt. Der Südschnell wird jetzt als Tunnel neu gebaut, um eine baufällige Hochstraße zu ersetzen, der Westschnellweg soll teilweise neu als Tunnel gebaut werden.

Es ist sinnvoll, auf diese Weise die Belastung der Anwohner durch den Autoverkehr zu reduzieren. Noch besser wäre es jedoch, die Zahl der Autos auf den Straßen insgesamt zu reduzieren. Nur mit oberirdischen Straßenbahnen und Bussen wird der ÖPNV dafür aber nicht attraktiv genug. Der Stadtteil Ahlem-Nord im Westen von Hannover zum Beispiel ist nicht an das Stadtbahnnetz angeschlossen; und dieser Anschluss könnte nur durch eine U-Bahn erfolgen, weil die oberirdische Bebauung schon zu dicht ist.

Hannover bräuchte also nicht nur den D-Tunnel im Zentrum, sondern auch dessen unterirdische Verlängerung nach Westen. Damit ließe sich dann nicht nur Ahlem-Nord erschließen, sondern auch der Vorort Letter, und das würde einen der Engpässe im Autoverkehr für die Pendler entschärfen, nämlich die Klappenburgbrücke bei der B6.

Vielleicht hilft die Erklärung der beiden Paradoxien der Verkehrspolitik dabei, solche Debatten für die Verkehrswende schneller zu einem positiven Abschluss zu bringen.