Zum Zustand der Union
In welchem Zustand befinden sich die EU und insbesondere die Währungsunion nach drei Jahren Dauerkrise? Und was ist von den Brüsseler Anti-Krisen-Maßnahmen zu halten?
Den „Doppelwumms“ fanden andere gar nicht so lustig. Kaum hatte die Bundesregierung ihr 200 Milliarden schweres Hilfspaket gegen die Folgen der Energiekrise beschlossen, kam Kritik von anderen europäischen Regierungen. Sie befürchten, dass Deutschland mit seiner Finanzkraft seine eigene Industrie schützen und subventionieren werde – zum Nachteil der anderen Europäer. Offensichtlich führt die Energiekrise zu Spannungen in der EU. Was die Frage nach den Hintergründen aufwirft: In welchem Zustand befinden sich die EU und insbesondere die Währungsunion nach drei Jahren Dauerkrise?
Hier sollen allerdings weniger die vielfältigen politischen Differenzen und Auseinandersetzungen in der Union nachverfolgt werden, über die in den Medien ausführlich berichtet wird, sondern ein paar grundlegende Linien der EU-Krisenpolitik und der ökonomischen Entwicklung in der Eurozone nachverfolgt und bewertet werden.
Einbruch und Erholung
Die EU-Länder waren von der Coronakrise 2020 hart betroffen, die europäische Wirtschaft brach dramatisch ein. Der anschließende Aufschwung im Folgejahr 2021 konnte die Verluste nicht ausgleichen, erst im vergangenen Jahr konnten die EU 27 und die Eurozone insgesamt das Vorkrisenniveau wieder erreichen.
2022 wies die Eurozone zwar noch ein deutliches Wachstum auf, das aber bereits im zweiten Halbjahr stark an Tempo verlor. Für das laufende Jahr wird eine Stagnation oder bestenfalls ein Miniwachstum erwartet. Nach derzeitigen Prognosen (Februar 2023) gehört Deutschland dabei zu den schwächeren Ländern. In der Presse wurde bereits bemängelt, dass Deutschland die gesamte Währungsunion nach unten ziehe.
Erstaunlich war, wie wenig soziale Verheerungen der doch heftige Absturz, zumindest bis Mitte 2022 angerichtet hatte. Ablesen kann man das beispielsweise an der Arbeitslosigkeit: Die Arbeitslosenquote in der EU stieg nicht, wie erwartet, sondern nahm vom Vorkrisenstand 7,4 % auf derzeit 6,1 % (Dezember 2022) ab. Ein anderes Indiz ist die Entwicklung der Sparquoten in den EU-Ländern: Viele Haushalte mussten keineswegs an ihre Reserven gehen, sondern bauten in den ersten zwei Pandemiejahren Rücklagen auf. Die Sparquote der privaten Haushalte wuchs deutlich. Maßgeblich dazu beigetragen haben die staatlichen Krisenpakete.
Allerdings ändert sich die Lage seit den kriegsbedingten Energiepreissteigerungen und der durch sie hervorgerufenen Inflation. Für die einkommensärmere Hälfte der Menschen in Deutschland und besonders in den wirtschaftlich schwächeren Staaten Europas ergeben sich existenzielle Probleme.
Gemeinsam durch die Krisen?
Was uns zu der Frage führt, wie die einzelnen EWU-Mitgliedsländer bisher durch die Krise kamen. Nachdem in der Eurozone bereits ab 2008 die Fliehkräfte und die Ungleichheit in der Entwicklung zunahmen: Waren vor den Krisen alle gleich – oder haben die Pandemie und der Ukrainekrieg das ökonomische Auseinanderdriften der Währungsunion verstärkt?
Eine erste Auskunft darüber geben die Länder-Wachstumsraten ab 2020:
Griechenland, Spanien, Portugal aber auch Italien und Frankreich erlitten demnach 2020 weitaus größere Produktions- und Einkommensrückgänge als Deutschland oder etwa die Niederlande. (Irland ist das einzige Land mit einem Wachstum, das aber weitgehend auf Finanztransfers zurückzuführen ist.) Genau die Euroländer, die bereits ab 2008 von der Finanzkrise und der darauffolgenden europäischen Austeritätspolitik am härtesten betroffen waren, mussten 2020 erneut die massivsten Einbußen hinnehmen.
Auch von der wirtschaftlichen Erholung des Jahres 2021 profitierten Spanien, Italien und Portugal nur unzureichend. Ihr BIP lag (real) im zweiten Coronajahr noch weit unter dem Stand von 2019, signifikant unterhalb des EWU-Durchschnitts.
2022 verlagerte sich die Wachstumsdynamik ein wenig: Griechenland und Portugal konnten mit überdurchschnittlichen Wachstumsraten das BIP-Niveau von 2019 toppen und damit ihre immensen Verluste aus dem Einbruch 2020 teilweise wettmachen. Für Spanien und Italien gilt das nach wie vor weniger, sie sind nur in etwa auf den Vorkrisenstand zurückgekehrt.
Vergleichsweise übertraf auch Deutschland das 2019er Niveau lediglich um nicht ganz 1 % –aber immer unter der Maßgabe, dass die Verluste der deutschen Wirtschaft in den Vorjahren viel niedriger ausfielen als die der meisten anderen Länder.
Gerechnet über die drei Krisenjahre sind also vor allem Italien und Spanien die Hauptverlierer. Frankreich hatte 2020 einen ungleich dramatischeren Einbruch als Deutschland, anschließend aber ein vergleichsweise hohes Wachstum und liegt in etwa im Mittelfeld der EWU. Die Niederlande, Finnland, Belgien und in geringerem Maße auch Deutschland kamen besser durch die Krisen. Ob sich daraus eine nach gängigen statistischen Varianzanalysen relevante Divergenzentwicklung in der Währungsunion errechnet, muss hier nicht weiter nachverfolgt werden, denn deutlich ist: Zumindest zwischen den beiden großen Süd- und den Nordländern nahm der Abstand zu.
Die Staaten: Sofortmaßnahmen
Nun lassen sich die Entwicklungen seit 2019 nicht ohne die Wirtschaftspolitik der EU-Staaten und der EU selbst erklären. Um die sozialen und ökonomischen Auswirkungen der Pandemie abzufedern, läuft seit Anfang 2020 eine umfangreiche wirtschaftspolitische Maschinerie der Krisenbekämpfung. Wie immer in Krisen wollten „die Märkte“ plötzlich nicht mehr den Nachtwächterstaat, sondern massive Hilfen. Die sie auch bekamen. Alleine in Deutschland wurden zur Linderung der wirtschaftlichen Pandemiefolgen 2020 vom Bund fast 400 Milliarden ausgegeben, zusätzlich standen noch umfangreiche Kreditbürgschaften zur Verfügung.
Andere Regierungen mussten deutlich sparsamer agieren. Trotzdem stiegen nicht nur in Deutschland, sondern auch in den übrigen Staaten, unter anderem wegen ausfallender Steuerzahlungen, die Schulden stark an, was bei Ländern mit hohen Schuldenquoten deren Situation als relative Verlierer noch verschärft und ein altes Problem reaktiviert: Die Zinssätze auf Staatpapiere entwickeln sich erneut auseinander. Da die EZB ihre Aufkaufprogramme (fast) eingestellt hat und die Defizitfinanzierung weitgehend den Kapitalmärkten überlässt, werden die Finanzierungsbedingungen für die höher verschuldeten Staaten wieder schlechter: Während die Bundesrepublik derzeit rund 2 % auf Anleihen bezahlen muss, sind die Zinsen für schwächere Länder weit höher.
Die EU: Nothelfer
Zusätzlich zu den nationalen Maßnahmen und um deren Ungleichheiten ein wenig auszugleichen, schaltete die EU eigene Mittel frei und versuchte die Rolle des Nothelfers zu spielen. Sie legte 2020 ein Soforthilfepaket vor, dessen Umfang sie mit 540 Milliarden bezifferte. Das tatsächliche Volumen dürfte allerdings niedriger gewesen sein – unter anderem deshalb, weil ein Teil davon lediglich in nicht in Anspruch genommenen Kreditbürgschaften bestand. Trotzdem trug zumindest das mit 100 Milliarden ausgestattet SURE-Programm dazu bei, dass auch in ärmeren Ländern Kurzarbeitsregelungen geschaffen werden konnten.
Ähnlich reagierte Brüssel 2022. Als besonders Deutschland im Alleingang größere Mengen Flüssiggas orderte und damit die Preise hochtrieb, musste die Union aktiv werden. Sie organisierte einen gemeinsamen Einkaufsmechanismus für den Kauf von Gas, mit dem die EU-Staaten einen Teil ihres Gasbedarfs – mindestens jedoch 15 % – über eine gemeinsame Plattform erwerben müssen, in der dieser Teil der Nachfrage gebündelt wird.
Darüber hinaus entwickelte die Kommission einen Gaspreisdeckel, dessen Ausgestaltung und Wirksamkeit aber stark umstritten sind. Des Weiteren ermöglichte die Union eine befristete Übergewinnsteuer auf hohe krisenbedingte Gewinne der Energieerzeuger. Alle Gewinne, die mehr als 20 Prozent über dem Durchschnittswert der Jahre von 2019 bis 2021 liegen, können mit mindestens 33 Prozent Abgaben belegt werden.
Next Generation
Neben diesen Sofortmaßnahmen beschloss die EU bereits 2021 unter einem längerfristigen Gesichtspunkt das „Wiederaufbauprogramm“ EU Next Generation (NG). Mit diesem Programm sollen die wirtschaftlichen Schäden aus der Coronakrise bewältigt und die EU gleichzeitig modernisiert und ökologisch ausgerichtet werden. Zu Next Generation wurde in der Presse ausführlich berichtet. Hier trotzdem nochmal einige Grunddaten.
„Next Generation“ soll vier Ziele erreichen:
- Neues Wachstum in der EU
- Eine Konvergenzentwicklung, um das weitere Auseinanderfallen vor allem der Eurostaaten in ärmere und reichere Nationen zu verhindern.
- Die Beschleunigung und Ausweitung der Digitalisierung
- Die Ökologisierung der künftigen Wirtschaftsentwicklung.
Das Budget beträgt nach laufenden Preisen 806 Milliarden Euro. Die ersten Auszahlungen aus dem Hauptbudget, dem mit 724 Milliarden ausgestatteten Recovery and Resilience Fund (RRF) fanden ab Mitte 2021 statt, das Programm erstreckt sich somit auf eine faktische Laufzeit von 5 1/2 Jahren. Bisher wurden rund 137 Milliarden ausgezahlt (Stand Ende 2022).
Die EU-Staaten mussten, um Gelder zu erhalten, detaillierte Projektpläne in Brüssel einreichen und genehmigen lassen. Über fast alle Länder hinweg sind in den Plänen Maßnahmen zum Ausbau erneuerbarer Energien, von grünem Wasserstoff, des öffentlichen Verkehrs, der Gebäudedämmung beinhaltet. Daneben sind die Digitalisierung von Schulen und Behörden und die Förderung von Elektroautos und ihrer Infrastruktur gängige Schwerpunkte.
Eine Verwendungs-Vorgabe soll im Rahmen der EU-Green Deal Strategie 37 % aller Investitionen in Umweltprojekte leiten. Die EU geht hier einen Schritt in Richtung aktive, gestaltende Umweltpolitik.
Rechnerisch und im Durchschnitt stehen aus der RRF (nach Abzug der Prefinancings für 2021 auf 5 Jahre Laufzeit gerechnet) pro Jahr ca. 140 Milliarden Euro zur Verfügung. Das entspricht etwa 1 % des EU-Bruttoinlandsprodukts, was erst einmal nach wenig klingt. Da die NG-Mittel allerdings zum größten Teil in Investitionen fließen, ist es sinnvoller, sie auf die Bruttoanlageinvestitionen zu beziehen. Die Gelder werden zwar nicht vollständig und nicht immer unmittelbar für neue Anlagen ausgegeben und können teilweise auch in Personalkosten fließen. Trotzdem haben sie großteils investiven Charakter. Die hier angegeben Daten können deshalb zumindest als grobe Orientierung dienen:
Gemessen an den Investitionen machen die pro Jahr durchschnittlich zur Verfügung stehenden RRF-Finanzierungen rund 4,4 % der jährlichen Bruttoanlageinvestitionen in der EU aus. Noch einmal gewichtiger wird das bei den Hauptempfängerländern. Die jährlichen durchschnittlichen Next Generation-Budgets entsprechen fast 11 % der italienischen Investitionen, 12 % der spanischen und mehr als 25 % der griechischen. Insgesamt sind das, auch bei Berücksichtigung der oben beschriebenen Abschläge, fühlbare Zuschüsse zu den Investitionen dieser Länder.
Die gelegentlich geäußerte Kritik, das Programm sei schon alleine vom Umfang her unzureichend ist abgesehen davon, dass alles immer noch mehr sein könnte, nicht überzeugend.
Man kann also davon ausgehen, dass Next Generation aktuell dazu beiträgt, in den schwächeren EU-Ökonomien die Investitionsquoten und damit die insgesamte Wirtschaftsentwicklung zu stützen. Damit dürfte das Programm einen merklichen Ausgleich für die Hauptverlierer der bisherigen Krise schaffen.
Prognosen: Stagnation statt „Wiederaufbau“?
Rückblickend könnte man also feststellen, viele europäische Länder seien ganz zufriedenstellend durch die Coronapandemie und die Energiekrise gekommen. Die EU hat dabei Soforthilfen geleistet, ein längerfristiges Wiederaufbauprogramm aufgelegt und versucht Krisenmaßnahmen zu koordinieren.
Fragt sich, ob diese Widerstandsfähigkeit auch 2023 erhalten bleibt? Die Prognosen sind nicht sehr optimistisch. Die EU-Kommission schätzt das Wachstum für die Eurozone auf nur noch 0,3 %, für die ersten zwei Quartale wird eine technische Rezession befürchtet. Frankreich, Italien, Belgien und Österreich liegen nahe an der Stagnation, ebenso – nach den neuesten Schätzungen – Deutschland.
Die Entwicklungsdynamik innerhalb der Währungsunion scheint sich dabei weiterhin ein wenig zu drehen: Während in den Coronajahren Länder mit hohen Dienstleistungsquoten, beispielsweise hohen Tourismusanteilen am BIP stärker vom Abschwung betroffen waren, sind neuerdings energieintensive Industrieproduktionen die Leidtragenden. Im Falle Deutschlands kommt dazu, dass die Bautätigkeit deutlich zurückgeht und der Absatz der Autoindustrie wechselhaft ist, für die deutschen Autobauer mit einer mittelfristigen Tendenz zur Stagnation. Außerdem wird sich die abkühlende Weltkonjunktur auch auf das besonders exportabhängige Deutschland stärker auswirken als auf andere Länder. Global sehen die Vorhersagen für Europa ein schwächeres Wachstum als für die USA und Asien.
Standortkrieg und Industriepolitik
Zu allem Überfluss setzen die USA mit Bidens Inflation Reduktion Act (IRA) noch eins obendrauf: Mit hohen Subventionen soll die US-Wirtschaft gestärkt und ökologisiert werden, zusätzlich beinhaltet der IRA protektionistische Elemente. Damit wird eine neue Runde im Standortwettbewerb eingeläutet.
Ist Europa insgesamt auf dem absteigenden Ast? In der Presse wird angesichts der US-Politik bereits der ökonomische Niedergang und die Deindustrialisierung Deutschlands beschworen.
Der IRA wird hierzulande allerdings medial und politisch aufgeblasen. Die 331 Milliarden für Klimaschutz (in Euro gerechnet), verteilt auf 10 Jahre sind verglichen mit europäischen Förderungen keineswegs der oft beschriebene gigantische Wurf. Allein Next Generation stellt für vergleichbare Ausgabenfelder circa 270 Milliarden für fünf Jahre bereit, dazu kommen Gelder aus anderen EU-Fördertöpfen, sowie nationale Förderungen und Subventionen – und das für einen kleineren Wirtschaftsraum, als es die US- Wirtschaft ist. Außerdem liegen die USA bei den erneuerbaren Energien noch weit hinter Europa. Maximal 12 % ihres Energieverbrauchs stammen aus regenerativen Quellen. In der EU beträgt der Anteil der „Erneuerbaren“ rund 20 %.
Trotzdem will Brüssel in Antwort auf den IRA seinerseits Subventionen für die Industrie ausweiten und erleichtern. Von Industriepolitik ist neuerdings überall die Rede – bis vor kurzem fiel die bloße Erwähnung dieses Begriffs noch unter Kommunismusverdacht.
Laut Aussagen der EU-Kommission sollen sich die Subventionen in der EU weitgehend auf ökologische Investments und Projekte beziehen. Wenn die großen Ziele sowohl in Europa als auch in Amerika aber tatsächlich der Klimaschutz und eine ökologische Transformation wären, müsste man doch fragen: Warum in Konkurrenz zueinander, warum nicht in Kooperation – am besten noch unter Einbeziehung der ärmeren Länder des Südens?
Zudem ist es derzeit unklar, wie diese neue Industriepolitik konkret aussehen soll. Im Gegensatz zu den Versprechungen einer „grünen“ Subventionspolitik gibt es etwa in Frankreich Bestrebungen die Beihilfen mit einer „Made in Europe“ Strategie weniger am Klima, sondern stärker an den Lieferketten und der „Versorgungssicherheit“ auszurichten, was Subventionen in Rohstoffversorgung, Halbleiter, Pharmazie oder Lebensmittelverarbeitung einbeziehen würde.
Hört man genauer hin, geht es in all den Ankündigungen und Verlautbarungen nicht um CO2 und Umwelt, sondern schlichtweg um Marktführerschaft. Europa möchte Marktführer bei neuen Technologien werden und sich damit im Wachstumsmarkt der grünen Technik den größten Anteil sichern. Im Zentrum steht nicht die Ökobilanz, sondern die Außenhandelsbilanz.
Dass es zwei Paar Stiefel sind, CO2 Bilanzen oder Handelsbilanzen in den Mittelpunkt zu stellen, zeigen auch die Details dieser Standortpolitik. Ein absoluter Schwerpunkt dabei ist beispielsweise das Elektroauto. Die USA fördern den Kauf amerikanischer E-Autos mit 7.500 Dollar pro Fahrzeug. Auch bei Next Generation fließen umfangreiche Beihilfen in den Ausbau der E-Mobilität. Dabei handelt es sich hier wie da um eine Rettungsaktion für die jeweilige Autoindustrie und den Individualverkehr, mit wenig Nutzen für die Umwelt und das Klima. Es geht dabei um mehr und nicht, wie es ökologisch notwendig wäre, um weniger Autos. Aber Ökobilanzen zu Elektroautos interessieren schon lange nicht mehr. Man hat sich halt drauf geeinigt, dass die Schlitten cool sind.
Ein weiteres Problem dabei: Diese Industriepolitik betreibt nicht nur Standortkonkurrenz mit den USA (und China), sie verschärft auch die Konkurrenz in der EU selbst: Hauptakteure und –Profiteure werden die Konzerne der stärkeren Industrieländer sein, also vor allem Unternehmen in Deutschland und Holland. Und hier wird auch am stärksten auf die öffentlichen Mittel zugegriffen: Laut Süddeutscher Zeitung entfallen derzeit 53 % der EU-weit genehmigten Beihilfen auf Deutschland. Wer weniger Geld in der Kasse hat, wie etwa Spanien, kann auch weniger subventionieren.[1]
Die EU versucht zwar durch ihre Genehmigungen die Subventionitis einigermaßen in Grenzen zu halten, um den Wettlauf zwischen den EU Ländern zu bremsen – was aber offensichtlich schlecht funktioniert. Vermutlich auch deshalb will sie mit eigenen, zusätzlichen Budgetmitteln einen „Souveränitätsfonds“, zur Finanzierung einer Gesamt-EU-Industriepolitik gründen. Wogegen Finanzminister Christian Lindner schon mal vorsorglich Bedenken angemeldet hat.
Die Politik der EU ist extrem widersprüchlich. Einerseits propagiert sie einen Green Deal mit partiell durchaus sinnvollen Maßnahmen zu Ökologisierung und Klimaschutz – andererseits setzt sie auf Standortkonkurrenz, Marktführerschaft und Wachstum. Aber nun ist es eben so, dass Wachstum der Feind der CO2-Reduzierung ist. Wachstum und CO2-Emission sind keineswegs ausreichend entkoppelt. Man sieht das alleine schon an den Verläufen der CO2-Emissionen. Europa, auch Deutschland, erzielte die größten Einsparungen in den 1990er Jahren durch das Abschalten der alten Ostblock-Industrie. In den folgenden Jahrzehnten nahm die CO2-Emission immer dann stark ab, wenn die Wirtschaft einbrach, wie etwa ab 2008 während der Finanzmarkt- und Eurokrise oder 2020 durch Corona. Ansonsten waren die „Entkoppelungserfolge“ völlig unzureichend. Je höher das Wachstum, desto schwieriger die Entkopplung.
Trotzdem glaubt die EU fest an so etwas wie ein ökologisches Wachstum. Green Deal, Energiewende, Wachstum, Marktführerschaft, Industriepolitik – das alles ergibt eine unklare Praxis des ökonomischen Durchwurstelns mit sehr gegensätzlichen Politikelementen.
Damit die Energiewende und ökologische Reformen dabei nicht völlig unter die Wachstumsräder kommen und um die positiven Elemente aus dem „Green Deal“ zu retten, bräuchte es in den nächsten Monaten viel Druck von unten, von der Umweltbewegung und von ökologisch orientierten Parteien.
Gerade die deutsche Regierung hätte hier eine Schlüsselrolle, maßgeblich mitzubestimmen, ob sich die EU-Wirtschaftspolitik zumindest ein Stück weit in Richtung ökologische Transformation bewegt, oder ob sie hauptsächlich zur unspezifischen Industrieförderung und einem Überlebensprogramm für die Autoindustrie geschrumpft wird. In diesem Sinne wäre es notwendig, die Grünen beim Wort zu nehmen, die derzeit ständig erklären, 2023 müsse wieder die Energiewende zum Hauptthema werden.
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